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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0095
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Bo» Charles Marelle.

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jeher weniger Eifer für die Freiheit als für die Gleichheit gs-
zeigt habe, es ist ader ein Vorwurf, der mit ihr alle Welt in
Frankreich trifft; jedenfalls kann man heutigentags zu ihrem
Lobe sagen, daß, wenn es in Frankreich einen Ort gibt, wo
der Geist sich seine Freiheit und seine Würde zu bewahren
wußte, es iicherlich die Academie-Francaise ist, sodaß zu einer
gewiffen Zeit davon die Rede war, sie wie alles Uebrige ein
bischen zu ,checembrisiren". Sie verdankte ihre Rettung ohne
Zweifel ihren vielfachen Bestandtheilen. Aus allen Parteien
sich zusammensetzend, ohne sich zum Organ einer einzigen herzu-
geben, hat sie einiges Recht, sich als Vertreterin der tadellosen
Gesellschaft gsltend zu machen. Sie zu unterdrücken hieße
nicht eine Faction niederschlagen, sondern wirklich einen Act der
Roheit gegen die Cultur und den Nationalgeist begehen. Das
hat die gegenwärtige Regierung eingesehen, und da sie sich ja
alles erlauben darf, muß man ihr dafür dankbar sein, daß sie
wenigstens hier eine geistige Opposition erträgt, die übrigens
zu fein ist, um einen Einfluß auf das Volk zu üben. Aber
trotz ihrer freisinnigen Aeußerungen, trotz alledem, was sie für
den Einstuß unL die Würde der Literatur gethan, hat die Aka-
demie dennoch viele Feinde, sogar unter den Literaten selbst.
Eine große Anzahl Schriftsteller und Denker halten dasür, daß die
Wirkung der Akademie auf die Literatur keine heilbringende ge-
wesen i ihrer Meinung nach hat sie durch ihreHerrschast über den
einfachen Vortrag die Sprache beeinträchtigt, sie in ihrer Entwicke-
lung gehemmt und die Macht der Plastik darin zerstört, durch ihre
beschränkte Kritik, an der Stelle einer weitgreifenden Aesthetik,
Rhetoriker und Grammatiker mit ihrem pedantisch trockenen
Geist herrschen laffen, und von Corneille ab bis zur roman-
tischen Schule mit aller Gewalt dsn Schwung einer selbstän-
digen Poesie verhindert. Philosophen und Gelehrte machen der
Akademie wieder andere nicht minder schwere Vorwürfe. Durch
ihre geistige Ueberlegenheit in Len Augen des Publikums, sagen
sie, durch die Glorie, die sie umgibt und durch welche sie für
so viele bedeutende Männer ein Gegenstand des Neides wird,
unterhält sie in Frankreich einen Geist der Eklektik und des
Compromisies, und unter dem Mantel eines schönen Stils und
einer literarischen Höflichkeit eine falsche Achtung vor der con-
 
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