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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0096
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88 III. Von dem franz. Geist und der geistigcn Arbeit in PariS.

ventionellen Wahrheit und eine wahre, dem freien Geist wie
der wissenschaftlichen und philosophischen Forschung uud der
poetischen Erfindung gleich schädliche, geistige Heuchelei. Diese
Bemerkungen sind zum Theil wohlbegründet, können aber ebenso
gut auf alle übrigen Akademien von Frankreich angewandt wer-
den. Am Ende nimmt jeder organisirte Verein, der irgendetwas
in der Gesellschaft vorstellt, officielle Sitten und ein diploma-
tisches Verfahren an. Recht bezeichnend ist der Ansruf eines
Mademikers: „Hätte ich beide Hände voll Wahrheiten, so
würde ich mich wol hüten, sie zu öffnen." Wie gesagt: wir
wollen uns nicht zum Vertheidiger der Französischen Akademie
aufwerfen. Eine genaue Erörterung alles deffen, was dafür
und dagegen gesagt wsrden könnte, würde uns viel zu weit
führen. Nur dieses Eine wollen wir zum Vortheil ier Academie-
Francaise hervorheben: daß sie sicherlich und ohne Frage das
meiste dazu beigetragen hat, eine Art allgemei» literarischen
Geistes in Frankreich zu verbreiten und zu beleben, der sich eben
nur da findet, wie man einen gewiffen allgemein politischen Geist
zum Beispiel nur in England vor allen andern Ländern an-
trifst. Dieser literarische Geist läßt sich in diesem Einen Wort
zusammenfaffen: der Geschmack, den man das Gewiffen des
Geistes genannt hat. Dies Gewiffen ist bei den Franzosen
so aufgeweckt und so rasch, daß es häufig das moralische Ge-
wiffen überholt. Man kennt jenes Wort eines französischen
Diplomaten, der, um eine fade und nutzlose politische Unthat
;u bezeichnen, ausrief: „Es ist mehr als ein Verbrechen; es
ist ein Fehler des guten Geschmacks." Dank diesem Cultus
des Geschmacks, Dank den classischen Traditionen und dem
zuweilen beschränkten, aber doch heilsamen Purismus, den die
Akademie unterstützt, hat die französische Sprache sich diejenigen
Eigenschaften unverändert erhalten, die sie seit Jahrhunderten
auszeichnen: Klarheit, Eleganz, Feinheit, Genauigkeit, An-
muth — Eigenschaften, die ihr dazu verholfen haben, in
Europa als internationale Sprache gebraucht zu werden, und
aus ihrer Prosa für alle Schriftgattungen die Prosa xar
sxoellsrics machen.

Es wird in Deutschland vielfach behauptet, daß die ger-
manische Wiffenschaft sich vorzüglich darin von Ler romanischen
 
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