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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0149
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Von WMam Reymond und Julius Rodenbcrg. 141

und gewaltige Speiseopfer gebracht in der Gsstalt von Bohnen
und Kartofseln. Hier werden Fäffer des „blauen" Weins
und noch mehr jenes „gelben Geistes" von ihnen geleert, dem
wir schon früher ein Wort der Anerkennung gezollt. Hier
smgen, trinken und tanzen sie; hier reden sie in ihrer eigenen
Sprache, und hier sitzen zusammen die Nalaiiclrins, b'ranos-
witonx, lllrnanäs, Noroelots — sie alle Bürger dieser
Boheme, welche fnr sie die verschiedensten Lose bereit hat.
Welch ein Banket, das hier gefeiert wird von Tag zu Tag!
Großer Durchgangspunkt des pariser Elends, aber mit einem
solchen Reiz und trügerischen Schimmer des Abenteuerlichen
bekleidet, des Ungewiffen, des Unverhofften — dieser Jrr-
lichter, welchen die Verirrten so gern folgen! Hazardspiel, in
welchem jeder täglich um sich selbst würfelt; Rendezvous, welches
der Leichtsinn dem Laster bewilligt, halb noch unentschlossen
den Weg prüfend, in deffen Perspective das Gold und der
Genuß winken, und vielleicht nur durch einen Zufall auf den
andern gestoßen, der zum Schafsot führt; phantastisches Leben,
welches, obwol es so dicht an das harte Tagewerk grenzt auf
dsr einen, an Las Verbrechen anf der andern Seite, doch so lär-
mend frob, so sorgenlos, so reich an Beispielen ist des Edel-
muths, der Herzensgüte, der Hochsinnigkeit . . . „Chaos, das
sich selbst nicht erkennen, Brausen und Branden, Las sich
selbst nicht verfolgen, aufsteigenden Dunst, der sich selbst nicht
unterscheiden kann", — Welt, mit einem Worte, wo die
Tugend, verzweiflungsvoll nach einem Ausweg ringend, Eln-
bogen an Elnbogen steht mit der Sünde, welche nur dar-
nach zu ringen scheint, sobald als möglich in eigener Equi-
Page durch das Bois de Boulogne zu kutschiren; Welt, in
welcher die Schönheit und die fratzenhafte Häßlichkeit, der
Glanz und dis Lumpen, die Leidenschaft und die käufliche Ge-
meinheit in schwankenden Umrifsen einander fortwährend be-
rühren, und in deren rauschenden Versammlungen — sei
es der Ball oder sei es das Cabaret — wir mit Bestimmt-
heit darauf rechnen können, diese.drei Figuren wiederzufinden:
unsern Freund vom Anfang dieses Kapitels, den Pfeifenanraucher,
den Kutschenschlagöffner, den Gamin; seine Schwester, die Ga-
mine, und — die Polizei!
 
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