VORWORT
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Eines Tages, vor mehreren Jahrzehnten, hielt ich ein großes Spitzwegbuch in der Hand. In ihm waren ganz andere
Gemälde abgebildet als die, welche ich bisher aus Galerien oder aus der Literatm- kannte. Ich kaufte alles, was über
diesen Künstler geschrieben und gedruckt war, und fand doch nicht, nach dem ich gesucht hatte. Vorher hatte ich die
Literatur oder Abbildungen von Werken Rembrandts und Dürers gesammelt 5 über sie konnte man in Hunderten von
Büchern die Entstehungsdaten der Bilder nachlesen, wie groß sie waren, welche Wege sie genommen hatten, bis sie in
den großen Sammlungen für lange Zeiten in gesicherter »Ruhe« die Jahrhunderte durchlebten und betrachtet werden
konnten.
Es war wunderbar, die »Schicksale«, wie man das nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Büchern und Bil-
dern nennt, aufgezeichnet zu finden und sich in die Gedankenwelt, in die meisterhaften Leistungen der Großen hinein-
zudenken. Hier aber, bei Spitzweg, gab es wohl kunstkritische, stilistisch wohlgeformte und manchmal langweilige
Abhandlungen und zahlreiche Abbildungen, aber über die Werke selbst war wenig oder nichts mitgeteilt, ja es stand
sogar gedruckt, daß es unmöglich sei, das Gesamtwerk dieses Malers zu erfassen, da seine Bilder nur zu einem Teil in
öffentlichen Sammlungen zu finden sind, vielmehr weithin in Privatbesitz verstreut und noch dazu sehr oft die Besitzer
wechseln. Reizte mich allein das Wort »unmöglich«, es dennoch zu versuchen? Vielleicht. Aber es kam noch etwas
anderes hinzu, das mir zunehmend stärker bewußt wurde, je länger ich mich darauf einstellte, etwas zu schaffen, was
fehlte.
Die Kunst des uns noch so nah gewesenen 19. Jahrhunderts ist uneinheitlich, nicht so, wie uns die weiter zurückliegen-
den Epochen jetzt erscheinen; für sie hat man Begriffe gesetzt, für jede von ihnen gilt kennzeichnend ein Stil, dessen
Lebens- oder Ausdrucksdauer man nicht immer ganz treffend, aber zweckmäßig klar umgrenzt hat. Auch den Werken
des deutschen 19. Jahrhunderts sieht man es an, woher sie kommen, aus welchen »Schulen« 5 aber da gab es viele,
sogar untereinander sehr verwandte bis nach Wien hinüber, nach Paris und in die Schweiz. Weil man von den Bildern
Spitzwegs nicht ablesen konnte, aus welchem dieser Kreise sie stammten, wer seine Lehrmeister waren, mußte noch
anderes bezwingend auf mich gewirkt haben. Bildinhalte, nicht die schon oberflächlich sichtbaren der dargestellten
Personen oder Gegenstände, sondern solche, die neben oder besser hinter den Darstellungen als Themata standen, gab
es vielfältige, aber diese hier stimmten nicht nur heiter, sie verlockten auch dazu, nachzudenken und sowohl dem Künst-
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Eines Tages, vor mehreren Jahrzehnten, hielt ich ein großes Spitzwegbuch in der Hand. In ihm waren ganz andere
Gemälde abgebildet als die, welche ich bisher aus Galerien oder aus der Literatm- kannte. Ich kaufte alles, was über
diesen Künstler geschrieben und gedruckt war, und fand doch nicht, nach dem ich gesucht hatte. Vorher hatte ich die
Literatur oder Abbildungen von Werken Rembrandts und Dürers gesammelt 5 über sie konnte man in Hunderten von
Büchern die Entstehungsdaten der Bilder nachlesen, wie groß sie waren, welche Wege sie genommen hatten, bis sie in
den großen Sammlungen für lange Zeiten in gesicherter »Ruhe« die Jahrhunderte durchlebten und betrachtet werden
konnten.
Es war wunderbar, die »Schicksale«, wie man das nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Büchern und Bil-
dern nennt, aufgezeichnet zu finden und sich in die Gedankenwelt, in die meisterhaften Leistungen der Großen hinein-
zudenken. Hier aber, bei Spitzweg, gab es wohl kunstkritische, stilistisch wohlgeformte und manchmal langweilige
Abhandlungen und zahlreiche Abbildungen, aber über die Werke selbst war wenig oder nichts mitgeteilt, ja es stand
sogar gedruckt, daß es unmöglich sei, das Gesamtwerk dieses Malers zu erfassen, da seine Bilder nur zu einem Teil in
öffentlichen Sammlungen zu finden sind, vielmehr weithin in Privatbesitz verstreut und noch dazu sehr oft die Besitzer
wechseln. Reizte mich allein das Wort »unmöglich«, es dennoch zu versuchen? Vielleicht. Aber es kam noch etwas
anderes hinzu, das mir zunehmend stärker bewußt wurde, je länger ich mich darauf einstellte, etwas zu schaffen, was
fehlte.
Die Kunst des uns noch so nah gewesenen 19. Jahrhunderts ist uneinheitlich, nicht so, wie uns die weiter zurückliegen-
den Epochen jetzt erscheinen; für sie hat man Begriffe gesetzt, für jede von ihnen gilt kennzeichnend ein Stil, dessen
Lebens- oder Ausdrucksdauer man nicht immer ganz treffend, aber zweckmäßig klar umgrenzt hat. Auch den Werken
des deutschen 19. Jahrhunderts sieht man es an, woher sie kommen, aus welchen »Schulen« 5 aber da gab es viele,
sogar untereinander sehr verwandte bis nach Wien hinüber, nach Paris und in die Schweiz. Weil man von den Bildern
Spitzwegs nicht ablesen konnte, aus welchem dieser Kreise sie stammten, wer seine Lehrmeister waren, mußte noch
anderes bezwingend auf mich gewirkt haben. Bildinhalte, nicht die schon oberflächlich sichtbaren der dargestellten
Personen oder Gegenstände, sondern solche, die neben oder besser hinter den Darstellungen als Themata standen, gab
es vielfältige, aber diese hier stimmten nicht nur heiter, sie verlockten auch dazu, nachzudenken und sowohl dem Künst-
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