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Roettgen, Steffi [Oth.]; Mengs, Anton Raphael [Ill.]
Anton Raphael Mengs 1728-1779 (Band 2): Leben und Wirken — München: Hirmer Verlag, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.54679#0407
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In den etwa gleichzeitig mit dem Uffizien-Porträt entstande-
nen Bildnissen für den Grafen Firmian (Bd.l, Kat.Nr. 286) und
für Lord Cowper (Bd.l, Kat.Nr. 279) durchsetzt sich der ernste
Ausdruck des Gesichtes mit Resignation und mit Pessimismus.
Diese Bildnisse sind traditionelle Eigenbildnisse, der Maler
schaut sich selbst an und tut dies mit nüchterner Skepsis, wofür
er eine nahezu frontale Kopfhaltung wählte. Die gleiche Ansicht
und Wendung zeigen auch die drei späteren Selbstbildnisse, von
denen zwei Gaben an Freunde waren. Das Genueser Bildnis
(Bd.l, Kat.Nr. 277) schickte Mengs aus Spanien dem mit ihm be-
freundeten Giuseppe Tealdo in Genua und das diesem ähnliche
Madrider Bildnis (Bd.l, Kat.Nr. 284), das dank des meisterhaften
Stiches von Carmona große Verbreitung erreichte, schenkte er,
wohl anläßlich seines Abschiedes von Spanien, dem Politiker
und Gelehrten Bernardo de Iriarte. Nach Azara hat Mengs »sein
eigenes Porträt, in fast halber Figur welches er seinen Freunden
schenkte« oft wiederholt.133 Man kann vermuten, daß mehrere
Selbstbildnisse auf diese Weise zustande gekommen sind, sieht
man von den wenigen bekannten Ausnahmen ab, wie den bei-
den frühen Pastellen in Dresden und dem Selbstbildnis für die
Uffizien. Dieser Umstand, der Einblick in die quellenmäßig nicht
erschließbare Motivation des Malers für seine eigenen Bildnisse
gibt, ist bedeutsam für ihre historische Einschätzung. Während
der etwas jüngere und länger lebende Anton Graff im Laufe sei-
nes Lebens mehr als achtzig Selbstbildnisse malte, wovon ein
großer Teil zum Verkauf bestimmt war, entspricht Mengs’ Ver-
halten noch der älteren, im Humanismus gründenden Tradition,
in der Eigenbildnis und Bildnis als Zeichen der Erinnerung und
der Freundschaft ausgetauscht wurden.134 So hatte Dürer sein
Bildnis Raffael geschenkt135 und Poussin das seine an Chante-
lou.136 Im 18. Jahrhundert lebte diese Tradition besonders in den
Kreisen der Gelehrten wieder auf137 und wirkte sich auch auf
das Künstlerporträt aus.
In dem wohl spätesten und letzten Selbstbildnis, dem in Ber-
lin befindlichen, nahezu frontalansichtigen Büstenporträt (Abb.
VII-3), erfahren Pessimismus und Lebensverdrossenheit eine in
menschlicher Hinsicht ergreifende Steigerung. Der beherr-
schende Eindruck dieses Bildnisses ist seelische Mattigkeit und
körperliches Siechtum. Jeglicher Hinweis auf die Tätigkeit des
Malens fehlt, die Aufmerksamkeit des Malers gilt anscheinend
nur noch seinem Verfall, dessen Anzeichen mit einer mitleidslo-
sen Offenheit registriert werden. In keinem anderen Selbstbild-
nis hat Mengs eine so nahsichtige en-face -Ansicht gewählt. Das
Bildnis ist in freier Umsetzung der traditionellen Vanitas-Alleg-
orien als memento mori in einem so direkten Sinne aufzufassen,
daß es des allegorischen Beiwerks nicht bedarf. Das schüttere
Haar, das abgemagerte und ausgezehrte Gesicht, die matten und
erloschenen Augen sind mit dem verzweifelten Zustand zu er-
klären, in den Mengs durch den plötzlichen Tod seiner Frau im
April 1778 geraten war. Als er das Berliner Selbstbildnis malte,
wußte er, daß dies seine letzte Selbstdarstellung war. Der kör-
perliche Verfall ist ebenso offensichtlich wie das Desinteresse
daran. Die Briefe des letzten Lebensjahres kommentieren diesen
seelischen Zustand auf eindrucksvolle Weise. Es ist nicht auszu-
schließen, daß es sich hier um das Bildnis handelt, das er auf der
Staffelei stehen hatte, als ihn der Prinz von Sachsen-Gotha am
9.5. 1778 besuchte, der sich besorgt über seinen Gesundheitszu-

stand äußerte (s. biogr. Dok.). Zu einem Zeitpunkt, als die
Physiognomik als Seelenkunde entdeckt und popularisiert
wurde, gelingt Mengs mit diesem Porträt »eine kunsthistorisch
das Porträt der Aufklärung weit vorwegnehmende Form der
Seelenerkundung im Selbstversuch«138.
Möglicherweise erschöpft sich die Aussage des Bildnisses je-
doch nicht in dieser persönlichen und psychologischen Dimen-
sion. Galten die forcierte Pose und der frontale Blick aus dem
Bild generell als eitel,139 so war das Selbstbildnis in besonderem
Maße Projektionsfläche des »amor proprio«, da es dem Künstler
gestattete, ein Bild von sich zu entwerfen, das ihn so spiegelt,
wie er gesehen werden wollte. Polizians Dictum »ogni dipintore
dipinge se«140 wurde bereits von Leonardo zur Warnung an den
Künstler umgedeutet. Die Eigenliebe oder auch die Verliebtheit
in das eigene Spiegelbild sah er als Gefahr für den Maler an,
weil sie ihn dazu verleitet, alle Gestalten mit Zügen der eigenen
Physiognomie und Somatik auszustatten. Er empfahl den Blick
auf sich selbst nur für Studienzwecke, um die Übertragung der
eigenen Physis und Proportionen in das künstlerische Werk zu
vermeiden.
Das Künstlerbildnis des 18. Jahrhunderts kannte mehrere
Möglichkeiten, um dem damals durchaus noch aktuellen Vor-
wurf der Eitelkeit und der forcierten Selbstinszenierung zu ent-
gehen, der dem Eigenbild anhaftete.141 Dem Weg in die prätenti-
öse und zugleich ironische Stilisierung und Kostümierung, den
Liotard beschritt, steht die experimentelle und provokative Pri-
vatheit und Subjektivität der Bildnisse von Maurice Quentin de
La Tour zur Seite,142 der Leonardos Empfehlung beherzigte und
die »Übung« mit dem neuen Interesse an der Seelenerkundung
verband.143 Eine Typologie, die den offiziellen Status wahrte und
zugleich dem Vorwurf der Selbstinszenierung entging, sind die
vor allem in Frankreich üblichen morceaux de reception, in
denen es in der Regel ein Berufskollege war, der das Konterfei
ausführte.144
Als dialektische Verfremdung und Unterwanderung dieser
Problematik ist das Selbstbildnis aufzufassen, das sich jeglichen
Hinweises darauf enthält, daß es sich um ein Selbstbildnis han-
delt. Es verschönt oder objektiviert die äußere Erscheinung und
visualisiert damit die Übereinstimmung der Physiognomie des
Betreffenden mit einem normativen Kanon. Diese programmati-
sche Aussage dürfte einer der Gründe für die Objektivierung
sein, die in den Selbstbildnissen von Dürer, Raffael und Poussin
so auffällig ist. Der Blick des Künstlers in den Spiegel zeigt in
diesen Fällen aber nicht nur das Bild, das der Maler vorgibt zu
sehen, indem er sich die Augen eines unbeteiligten Betrachters
leiht, sondern auch das Antlitz dessen, der sich wissend dieser
doppelten Maske bedient. Das letzte Selbstbildnis von Mengs of-
fenbart mit seiner durch die Frontalität und Nahsichtigkeit ver-
stärkten Konfrontation mit dem Betrachter einen distanzierten,
aber nicht schonungslosen Blick auf die eigenen Züge. Einerseits
läßt der Maler den Betrachter an seiner Hinfälligkeit teilhaben,
andererseits formuliert er im Medium der Malerei eine Bot-
schaft, die über die physische und psychische Dimension hinaus
reicht. So betrachtet hat das Bildnis durchaus Vermächtnischar-
akter, denn es demonstriert zwar, daß »die Kunst die Natur auf
der Tat ertappt«145 - wie dies von einem guten Porträt verlangt
wurde -, aber auch, daß sie ihr überlegen ist.

Nachruhm, Nachleben und Wirkung 403
 
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