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kennt sie jetzt diese Bindung an und alle illusionistische Erweiterung
■des Realraumes (wie sie von den Nachfolgern vorgenommen wird)
ist nur eine Umsetzung realräumlicher Möglichkeiten ins Dekorative.
Man kann die Reform der Landschaftsmalerei nicht verstehen,
■ohne sich diese allgemeinen Voraussetzungen klar gemacht zu haben.
Auch hier handelt es sich um die Durchdringung des Struktur- und
Dekorationsprinzips, um Anerkennung eines klaren Bildraums und
seiner strengen Gliederung nach großdekorativen Gesichtspunkten.
Carracci knüpft dabei an die römische Tradition der Raffaelschule
nur ganz allgemein an, indem er wieder zur Bildbühne zurückkehrt,
an die sich ein Landschaftsprospekt anschließt. Das, was er als
eigentlich Neues dazubringt, ist venezianisches Erbgut98). In seinen
Landschaften findet sich wieder das dominierende Einzel-
motiv, auf Altarbildern im Hintergrund als abschließende Silhou-
ette (Florenz, Palazzo Pitti und Spoleto, Kathedrale)") und auf Land-
schaftsbildern als Hauptgegenstand im Bildzentrum (Römische Land-
schaft, Berlin, und Flucht nach Aegypten, Rom, Galeria Doria). Die
Kombination der römischen strengen Bildform, die ja auf eine voll-
kommene Horizontalwirkung hinauslief und der venezianischen, die
eine Akzentuierung des Mittelgrundes bedeutete, bewirkt einen neuen
Gesamtaufbau. Das Motiv beherrscht ganz anders den Bildraum, da-
durch, daß es in eine horizontal geschichtete Landschaft als Vertikal-
akzent eingefügt ist. In der venezianischen Malerei zeigte es sich
gebunden an die Figurenrampe, mit der es in rhythmischem Zu-
sammenhang stand. Hier steht es im Mittelpunkt auch in inhaltlicher
Hinsicht als das ins Blickfeld gerückte Einzelobjekt, um das sich die
übrige Landschaft abschließend gruppiert. Während in der bisherigen
dekorativen Landschaft entweder das Panoptikumhafte der alten Welt-
landschaft nachwirkte (Brill) oder aus der romantisch vorgestellten
Umwelt ein zufälliger — oder zu mindesten auf zufällige Wirkung
berechneter — Ausschnitt gewählt wurde (Veronese), entwickelt
Carracci die Landschaft aus den in ihrer räumlich-plastischen Er-
scheinung steckenden dekorativen Möglichkeiten. Es benutzt zwar
den Naturausschnitt, aber er zeigt ihn in einer idealen Ansicht, wo-
durch seine Einmaligkeit und Zufälligkeit aufgehoben wird. Dabei
verbindet sich das Dekorative so stark mit den realen Gegebenheiten
des Naturbildes (Landschaft um Rom), daß es nicht mehr als äußer-
liche Zutat, sondern als zum Wesen dieser Landschaft gehörig
empfunden wird.
Aus denselben beiden Momenten, dem Sinn für Struktur und
für dekorative Wirkung, ist die Stellung der Figuren in der Land-
schaft abzuleiten. Entgegen dem Unterhaltungscharakter der bisherigen
dekorativen Landschaft, wo die Figuren wie Spielzeug über die Land-
schaft verteilt waren, werden sie bei Carracci wieder in den Vorder-
grund gerückt, erhalten ihre repräsentative Würde zurück. So wie im
Großen wieder einfache und rationelle Maßverhältnisse zwischen Bild
und Dekoration, zwischen Dekoration und Raum hergestellt werden.

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