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Sauer, August; Levetzow, Ulrike [Gefeierte Pers.]
Ulrike von Levetzow und ihre Erinnerungen an Goethe: zur hundertsten Wiederkehr ihres Geburtstages (4. Februar 1904) — München: Verlagsbuchhandlung Georg G.W. Callwey, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.65688#0011
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lieber Goethes Aufenthalt in Deutschböhmen liegt der Glanz
seiner letzten Liebe. Aus der Flut seiner Nbschiedstränen hob sich
die Heilige der Marienbader Elegie in strahlender Schöne empor, die
„lieblichste der lieblichsten Gestalten", ein „liebenswürdig Wunder-
zeichen", eine neue Pandora, und gesellte sich den schönsten dichteri-
schen Traumbildern seines Lebens zu, einer Mignon, einer Ottilie,
einer Suleika. Aber nachdem die anderen Urbilder seiner dichterischen
Schöpfungen längst zu den Schatten hinübergegangen waren, Frie-
derike, Lotte, Christiane, Frau Von Stein, und selbst Marianne von
Willemer ihre sehnsüchtige Seele längst ausgehaucht hatte: Ulrike
lebte noch immer; ein lebendiges Märchen, ein atmendes Wunder;
lebte bis an die Schwelle des neuen Jahrhunderts. Es war, als
ob der Engel des Todes an ihr vorüberginge, um ein ewiges Denk-
mal von unseres größten Dichters Liebesleidenschaft auf Erden zu
belassen. Und während Goethes Leben mit allen großen und kleinen
Erfahrungen, mit allen Einzelheiten in farbigster Sinnlichkeit immer
deutlicher und glühender vor der Nachwelt erstand, von dem Heiligsten
und Innersten seines Herzens die Schleier gehoben wurden: ver-
schloß Ulrike von Levetzow die teuren Andenken an ihre glückliche
Jugend vor den neugierigen Augen ihrer Zeitgenossen. Kein Wunder,
daß sic noch bei Lebzeiten zur mythischen Gestalt wurde, daß sich
die Legende um sie schlang, daß sogar die Verleumdung sich an sie
heranwagte. Um so schroffer wandte sie sich von der Außenwelt ab,
durch ihre Hunde ließ sie die zudringlichen Reporter von ihrem Schlosse
sagen und nur ihren Liebsten und Nächsten gegenüber erschloß sie sich,
selten gewährte sie einem gut empfohlenen Fremden Einblick in die
süßen Geheimnisse ihrer Vergangenheit. Aber sie sorgte dafür, daß
das, was sie durch mehr als 6 Jahrzehnte als ihren teuersten Schatz
gehütet hatte, in die edelsten Hände gelegt und an den einzig richtigen
Platz gebracht würde: sie vertraute die Briese Goethes an sie und
ihre Mutter der hohen Erbin des Goethischen Nachlasses, der Groß-
herzogin Sophie von Sachsen, an, und nach Ulrikes Tod erblickten
diese Dokumente endlich das Licht der Oeffentlichkeit. Nachdem Gnstav
von Loeper im 8. Bande des Goethejahrbuchs l887 an der Hand
des Goethischen Tagebuchs und der Briefe der Familie von Leveüow
an Goethe die persönlichen Grundlagen der Marienbader Elegie zum
ersten Ma< annähernd richtig hatte darstellen können, nachdem Prem
in seiner Goethebiographie und Ladung Stettenheim („Neue Freie
Presse", 23./21. März 1898) aus mündlichen Mitteilungen Ulrikes,
die auch Herrn von Loeper geflossen waren, wertvolle Ergänzungen
 
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