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umringt. Mutter winkte uns, sagte Goethe gute Nacht und ging
mit uns hinauf. Da es schon spät, sahen wir Goethe erst am andern
Morgen wieder, wo seine erste Frage war: „Nicht wahr, Sie wußten,
daß gestern mein Geburtstag?" Mutter sagte: „Wie sollte ich nicht?
Da hätten Sie es nicht drucken lassen müssen!" Lachend schlug er
sich vor den Kopf und meinte: „So wollen wir es den Tag des
öffentlichen Geheimnisses nennen," und so erwähnte er es auch später
in seinen Briefen.^) -
Ich kann nur wiederholen, was ich schon oft gesagt: es war
eine schöne Zeit, welche wir mit dein so liebenswürdigen Mann ver-
lebt haben, rind die Briefe, welche er noch lange Jahre mit meiner
Mutter wechselte, zeigten, daß er sie auch nicht vergessen. Sehr viel
hat Goethe zu meiner und meiner Schwestern Belehrung und Bildung
beigctragen, da er über so viele Gegenstände mit uns gesprochen und
auch meiner Mutter manchen Wink und Rat gegeben.
Gleich nach seinem Tod schrieb der Minister von Müller au
meine Mutter und sandte ihr die Elegie, welche, wie -man ja sagt,
seiner Liebe zu mir ihre Entstehung dankt-um die damals noch nicht ge-
druckt war,und schrieb meiner Mutter, ob sie nicht die Briefe,
welche, wie er wisse, sie von Goethe habe, ihm senden wolle, damit
sie mit veröffentlicht würden. Mutter wollte aber erst Nüssen, ob
unter dem Nachlaß sich ihre Briefe an Goethe gefunden, das war
nicht der Fall; denn wie H. von Müller schrieb, hätten sich in einein
Fach des Schreibtisches nur einige kleine Arbeiten, dann Tasse rind
GlaS mit unseren Namen, alles mit einem roten Band zusammen-
gebunden, gefunden; da wollte denn Mutter die Briefe auch nicht
veröffentlicht haben und gab sie nicht her, so wie ich auch nicht.
Ich könnte wohl noch viel von der Zeit erzählen, doch ich denke,
das genügt, um all das Fabelhafte, was darüber gedruckt, zu wider-
legen — denn: keine Liebschaft war es nichts)
->-
* *
2°) Neber die Feier des 28. August 1823 in Elbogen vergl. R. Richter,
Goethe in Elbogen: „Deutsche Arbeit", 1. Jahrgang. S. 207 ff. Goethes Tage-
buch berichtet darüber (IX, S. 102 ff.): „Früh aufgestanden. Meist reiner Himmel,
wenig Wolken am Horizonte. Alan eilte, um 7 Uhr fortfahren zu können.
Gegen 9 Uhr kamen wir in Elbogen an. Der Himmel hatte sich überzogen.
Eine halbe Stunde mochte die Fahrt heißer gewesen sein. Im weißen Roß
eingekehrt, wo Sradelmann alles gestern bestellt hatte. Großer Spaziergang
erst am rechten Ufer der Eger, durch die neuen Felsengänge. Bertha mit dem
Gestein beschäftigt. Zuletzt sehr warm. Rückkehrend fanden wir Stadelmann
und John, die mit dem Dessert angekommen waren. Lieber Brief von meinem
Sohn. Glasbecher mit den drei Namen und dem Datum. Die Marienbader
Geschichten rekapituliert und andere. Aufs Rathaus, den Meteorstein zu sehen.
In die Porzellanfabrik. Erhielt Zwillings-Krystalle. Nach 6 Uhr abgefahren,
bei kühler Luft, besonders gegen Nordost und am Horizont bedecktem Himmel.
Glücklich zurückaekehrt bei einbrechender Nacht." Goethe an Ulrike 10. Sep-
tember !823- „Es war ein schöner Tag des öffentlichen Geheimnisses!" (Goethe-
Jahrbuch XXI, S. 11.) — Goethe an Grüner, 1. Sept. 1823, Briefw S. 170.
2°) Hier irrte Ulrike. Die Elegie war schon 1825 in „Ueber Kunst und
Altertum" gedruckt erschienen und bei Goethes Lebzeiten auch in die Ausgabe
seiner Werke ausgenommen worden.
") Auch zu Stettenhoim sagte Ulrike: .Es war keine Liebschaft. . . Wahr-
heit und Dichtung werden vermischt, wenn man von meinen Beziehungen zu
umringt. Mutter winkte uns, sagte Goethe gute Nacht und ging
mit uns hinauf. Da es schon spät, sahen wir Goethe erst am andern
Morgen wieder, wo seine erste Frage war: „Nicht wahr, Sie wußten,
daß gestern mein Geburtstag?" Mutter sagte: „Wie sollte ich nicht?
Da hätten Sie es nicht drucken lassen müssen!" Lachend schlug er
sich vor den Kopf und meinte: „So wollen wir es den Tag des
öffentlichen Geheimnisses nennen," und so erwähnte er es auch später
in seinen Briefen.^) -
Ich kann nur wiederholen, was ich schon oft gesagt: es war
eine schöne Zeit, welche wir mit dein so liebenswürdigen Mann ver-
lebt haben, rind die Briefe, welche er noch lange Jahre mit meiner
Mutter wechselte, zeigten, daß er sie auch nicht vergessen. Sehr viel
hat Goethe zu meiner und meiner Schwestern Belehrung und Bildung
beigctragen, da er über so viele Gegenstände mit uns gesprochen und
auch meiner Mutter manchen Wink und Rat gegeben.
Gleich nach seinem Tod schrieb der Minister von Müller au
meine Mutter und sandte ihr die Elegie, welche, wie -man ja sagt,
seiner Liebe zu mir ihre Entstehung dankt-um die damals noch nicht ge-
druckt war,und schrieb meiner Mutter, ob sie nicht die Briefe,
welche, wie er wisse, sie von Goethe habe, ihm senden wolle, damit
sie mit veröffentlicht würden. Mutter wollte aber erst Nüssen, ob
unter dem Nachlaß sich ihre Briefe an Goethe gefunden, das war
nicht der Fall; denn wie H. von Müller schrieb, hätten sich in einein
Fach des Schreibtisches nur einige kleine Arbeiten, dann Tasse rind
GlaS mit unseren Namen, alles mit einem roten Band zusammen-
gebunden, gefunden; da wollte denn Mutter die Briefe auch nicht
veröffentlicht haben und gab sie nicht her, so wie ich auch nicht.
Ich könnte wohl noch viel von der Zeit erzählen, doch ich denke,
das genügt, um all das Fabelhafte, was darüber gedruckt, zu wider-
legen — denn: keine Liebschaft war es nichts)
->-
* *
2°) Neber die Feier des 28. August 1823 in Elbogen vergl. R. Richter,
Goethe in Elbogen: „Deutsche Arbeit", 1. Jahrgang. S. 207 ff. Goethes Tage-
buch berichtet darüber (IX, S. 102 ff.): „Früh aufgestanden. Meist reiner Himmel,
wenig Wolken am Horizonte. Alan eilte, um 7 Uhr fortfahren zu können.
Gegen 9 Uhr kamen wir in Elbogen an. Der Himmel hatte sich überzogen.
Eine halbe Stunde mochte die Fahrt heißer gewesen sein. Im weißen Roß
eingekehrt, wo Sradelmann alles gestern bestellt hatte. Großer Spaziergang
erst am rechten Ufer der Eger, durch die neuen Felsengänge. Bertha mit dem
Gestein beschäftigt. Zuletzt sehr warm. Rückkehrend fanden wir Stadelmann
und John, die mit dem Dessert angekommen waren. Lieber Brief von meinem
Sohn. Glasbecher mit den drei Namen und dem Datum. Die Marienbader
Geschichten rekapituliert und andere. Aufs Rathaus, den Meteorstein zu sehen.
In die Porzellanfabrik. Erhielt Zwillings-Krystalle. Nach 6 Uhr abgefahren,
bei kühler Luft, besonders gegen Nordost und am Horizont bedecktem Himmel.
Glücklich zurückaekehrt bei einbrechender Nacht." Goethe an Ulrike 10. Sep-
tember !823- „Es war ein schöner Tag des öffentlichen Geheimnisses!" (Goethe-
Jahrbuch XXI, S. 11.) — Goethe an Grüner, 1. Sept. 1823, Briefw S. 170.
2°) Hier irrte Ulrike. Die Elegie war schon 1825 in „Ueber Kunst und
Altertum" gedruckt erschienen und bei Goethes Lebzeiten auch in die Ausgabe
seiner Werke ausgenommen worden.
") Auch zu Stettenhoim sagte Ulrike: .Es war keine Liebschaft. . . Wahr-
heit und Dichtung werden vermischt, wenn man von meinen Beziehungen zu