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Sauer, Joseph
Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters: mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis Sicardus und Durandus — Freiburg. i.Br., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8576#0188
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154 Symbolik d. Kirchengebäudes u. seiner Ausstattung in d mittelalterl. Litt.

den Predigten oder Abhandlungen eines populären Theologen oder
Kanzelredners des 16. oder 17. Jahrhunderts- vor uns zu haben
vermeinen. Auch in vielen Glockeninschriften hat die Symbolik
Ausdruck gefunden. Weist schon die Namengebung auf die Ähn-
lichkeit mit der Taufe hin, so spricht sich in den Inschriften bald
irgend ein biblischer Gedanke, eine Gebetsformel, irgend eine Er-
innerung an die Bestimmung der Glocken aus. „Ave Maria etc.''
oder „0 rex gloriae veni cum pace" sind besonders beliebt. In
Italien (Glocken im Bargello zu Florenz) und Frankreich ist häufig
die Feuer- und Wetterbeschwörungsformel: „Mentem sanctam spon-
taneam, honorem deo et patriae liberationem", welche dem liturgi-
schen Barbara-Gebet. entnommen ist1 Der ästhetische Gesichts-
punkt fehlt in dieser Betrachtung der Glocken wie überhaupt im
ganzen Anschauungskreis dieser mittelalterlichen Autoren gänzlich.
Wenn sie vom Festgeläute an hohen Feiertagen reden, so sehen
sie darin nur das Ungestüm des an säumige Seelen appellierenden
Predigers. Für die Erhöhung der Feierlichkeit und Pracht durch
ein volles Geläute hatten sie keine Empfindung. Dafs das Ver-
stummen in der Karwoche die drückende, dumpfe Trauer der ge-
schöpflichen Welt über die ernsten Geheimnisse bezeichnen könne,
ist keinem einzigen dieser Männer, oder doch nur so nebensäch-
lich wie möglich, über den andern, didaktischen Gesichtspunkten
in den Sinn gekommen. Ihre ganze Deduktion wendet sich,
wie auch sonst, an den Verstand; das Gefühl ging leer
aus. Bei dem so oft betonten „Schönheitsinstinkt" der mittel-
alterlichen Menschen geht ihnen gleichwohl jedes Organ für das
Aussprechen irgend welcher Empfindungen ab.

Aber noch ein anderes ergiebt sich aus dem lehrreichen Ab-
schnitt über die Glockensymbolik. Die ausgedehnte Berücksichti-
gung der Glocken, die doch nur ein ganz nebensächlicher Gegen-
stand im Inventar des Gotteshauses sind, drängt uns ohne weiteres
die Frage auf: Woher diese Ungleichmäfsigkeit der Behandlung
gegenüber so vielen andern weit wichtigeren Bestandteilen und
Gegenständen, die entweder ganz übergangen oder doch nur kurz
gestreift worden sind? Der Grund für dieses Mifsverhältnis, das
um so auffallender ist, als die Elemente dieser Symbolik als
vollstes Eigentum dem Mittelalter angehören und nicht schon in

1 Vgl. Rev. de l'art ehrest. 1900, p. 418 und im allgemeinen Otte, Handb
I. 442 ff.; Glockenkunde S. 79—85.
 
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