GRIECHISCHE UND RÖMISCHE BAUKUNST
von Professbr Dr. Franz Winter
Auf den nachfolgenden Blättern sind die wich-
tigsten erhaltenen Denkmäler der griechischen
und römischen Baukunst in chronologisdier Anordnung
zusammengestellt.1) Die geschichtlidie Entwicklung der
Bauformen und der Bautypen, wie sie lieh vom
7. Jahrhundert v. Chr. an bis zum Ausgange der Kaiser-
zeit vollzogen hat, soll zur Ansdiauung gebracht
werden. Sie gliedert lieh in drei Hauptabschnitte,
die, in ihrer Begrenzung durch die mit Alexanders
des Großen Eroberungen und mit der Gründung des
römischen Weltreichs eingetretenen Wandlungen be-
slimmt, als die der griechischen, der hellenistischen
und der griechisch-römischen Epoche sich bezeichnen
lasien. Das Unterscheidende dieser Epochen liegt nicht
so sehr in den Stilformen, als auf dem Gebiete der
Konstruktion und Technik und in den mit den wech-
selnden Lebensverhältnisien veränderten und be-
reicherten Bauaufgaben. Diese haben in der grie-
chischen Epoche zu einer Blüte des Sakralbaues ge-
führt. Danach ist im Hellenismus der Profanbau in
die herrschende Stellung gekommen und in ihm hat
auch die kaiserzeitliche Architektur ihre Hauptauf-
gabe gefunden.
I.
Die griechische Kunst hat sich in den Jahrhun-
derten, die dem Untergang der „mykenischen“ Kunst
(Heft III) gefolgt sind, zu der großen Entwicklung
vorbereitet, in die sie nach Überwindung der pri-
mitiven Beschränktheit und Unvollkommenheit des
Schaffens, wie sie dem geometrischen Stil (Heft IV)
anhaftet, um die Wende des 7. und 6. Jahrhunderts
v. Chr. eingetreten ist. Wie in der Skulptur be-
zeichnet in der Architektur der Übergang zu der
Stein- und Marmorarbeit den Anfang dieser neuen
Entwicklung. Ihre Vorstufen, die uns für die Skulp-
tur fehlen, lernen wir aus erhaltenen ältesten Tem-
peln kennen, die sich auf der griechischen Halbinsel,
im dorischen Gebiete, wo einst die mykenische Kunst
verbreitet gewesen ist, finden. Sie zeigen uns, wie
die im Tempelbau erflehende griechische Monumen-
talarchitektur im Anschluß an die mykenische, als
deren Erbin und Weiterführerin, sich gebildet hat.
Der wichtigste mykenische Bautypus, der des ge-
schlossenen Raumes mit offener Vorhalle, wie er im
Herrscherhause, im Megaron, ausgebildet ist (Heft III
S. 78), lebt im Gotteshaus fort, das im eigentlichsten
') Für freundschaftlidie und durch wertvolle Hinweise
fördernde Teilnahme an der Arbeit habe ich Herrn Dr.
F. Oelmann zu danken.
Sinne an die Stelle des früher den Kult der Gott-
heit in sich einschließenden Herrscherhauses getreten
ist, die es in Tiryns, wo es in das alte Megaron
selbst eingegliedert ist (S. 121, 4), in Mykenae und
Athen, wo die Tempel über seinen Fundamenten
liegen, auch räumlich einnimmt. Für kleinere Hei-
ligtümer blieb der Grundriß des Megaron unver-
ändert beibehalten und er ist auch für Gebäude
anderer Bestimmung, wie für die im 6. Jahrhundert
zahlreich gebauten Schatjhäuscr (S. 122, 2) und na-
mentlich für den Hauptteil der Wohnhausanlage be-
wahrt, für diesen bis in die hellenistische Zeit (S. 160,1)
in Anwendung geblieben.
In den größeren Heiligtümern ist er in der
Cella erhalten, hier nun erweitert zu symmetrischer
Gestalt durch Anfügung einer der Vorhalle gleich-
artigen Hinterhalle, im Zusammenhang mit dem
ringsherum geführten Säulenkranze, durch den das
Ganze eine monumentale Ausgestaltung erhalten
hat. Die äußere Beziehung des Säulenumgangs mit
der Cella ist, wie deren nicht immer symmetrisch
gehaltene Gliederung selbst (S. 121), ansangs Schwan-
kungen unterworfen gewesen, wie namentlich die
unteritalischen und sizilischen Tempel (S. 125) zeigen,
bis sich die feile achsiale Verbindung aller Teile unter-
einander zu allgemeiner Geltung durchsegte. Dieselbe
anfängliche Bewahrung und Erweiterung der myke-
nischen Bauweise wie für den Grundriß lehrt das
Heraion von Olympia für den Aufbau kennen. Mit
Mauern aus Lehmziegeln auf einem durch Ortho-
staten (hochkantig gestellte Steinplatten) verklei-
deten Sockel (S. 121, 7; vgl. III S. 79,1. 2.), hölzernen
Säulen, die später, je nachdem sie schadhaft wurden,
durch die erhaltenen steinernen ersetjt sind, und mit
hölzernen Anten und Gebälk glich der Bau dem
des Megaron von Tiryns. Aber das Dach, nun außer
von den Cellamauern auch von den Säulen des Um-
gangs getragen, war nach dem Zeugnis des erhal-
haltenen Giebelakroters (S. 122, 6) nicht mehr wie
wahrscheinlich bei den mykenischen Gebäuden flach,
sondern ansteigend und zwar bereits als Giebeldach
gebildet. Mit dieser Neuerung verband sich eine
weitere, die Anwendung des gebrannten Tones, die
in der mykenischen Kunst noch auf den Töpferei-
betrieb beschränkt gewesen ist, für die Dachziegel
und für ein Schutzwerk, dessen die den Schäden der
Witterung besonders ausgesetsten Gebälke, so lange
sie aus Holz gebildet waren, bedurften. Die Schöpfung
des Giebeldaches, neben dem sich anfangs auch das
von Professbr Dr. Franz Winter
Auf den nachfolgenden Blättern sind die wich-
tigsten erhaltenen Denkmäler der griechischen
und römischen Baukunst in chronologisdier Anordnung
zusammengestellt.1) Die geschichtlidie Entwicklung der
Bauformen und der Bautypen, wie sie lieh vom
7. Jahrhundert v. Chr. an bis zum Ausgange der Kaiser-
zeit vollzogen hat, soll zur Ansdiauung gebracht
werden. Sie gliedert lieh in drei Hauptabschnitte,
die, in ihrer Begrenzung durch die mit Alexanders
des Großen Eroberungen und mit der Gründung des
römischen Weltreichs eingetretenen Wandlungen be-
slimmt, als die der griechischen, der hellenistischen
und der griechisch-römischen Epoche sich bezeichnen
lasien. Das Unterscheidende dieser Epochen liegt nicht
so sehr in den Stilformen, als auf dem Gebiete der
Konstruktion und Technik und in den mit den wech-
selnden Lebensverhältnisien veränderten und be-
reicherten Bauaufgaben. Diese haben in der grie-
chischen Epoche zu einer Blüte des Sakralbaues ge-
führt. Danach ist im Hellenismus der Profanbau in
die herrschende Stellung gekommen und in ihm hat
auch die kaiserzeitliche Architektur ihre Hauptauf-
gabe gefunden.
I.
Die griechische Kunst hat sich in den Jahrhun-
derten, die dem Untergang der „mykenischen“ Kunst
(Heft III) gefolgt sind, zu der großen Entwicklung
vorbereitet, in die sie nach Überwindung der pri-
mitiven Beschränktheit und Unvollkommenheit des
Schaffens, wie sie dem geometrischen Stil (Heft IV)
anhaftet, um die Wende des 7. und 6. Jahrhunderts
v. Chr. eingetreten ist. Wie in der Skulptur be-
zeichnet in der Architektur der Übergang zu der
Stein- und Marmorarbeit den Anfang dieser neuen
Entwicklung. Ihre Vorstufen, die uns für die Skulp-
tur fehlen, lernen wir aus erhaltenen ältesten Tem-
peln kennen, die sich auf der griechischen Halbinsel,
im dorischen Gebiete, wo einst die mykenische Kunst
verbreitet gewesen ist, finden. Sie zeigen uns, wie
die im Tempelbau erflehende griechische Monumen-
talarchitektur im Anschluß an die mykenische, als
deren Erbin und Weiterführerin, sich gebildet hat.
Der wichtigste mykenische Bautypus, der des ge-
schlossenen Raumes mit offener Vorhalle, wie er im
Herrscherhause, im Megaron, ausgebildet ist (Heft III
S. 78), lebt im Gotteshaus fort, das im eigentlichsten
') Für freundschaftlidie und durch wertvolle Hinweise
fördernde Teilnahme an der Arbeit habe ich Herrn Dr.
F. Oelmann zu danken.
Sinne an die Stelle des früher den Kult der Gott-
heit in sich einschließenden Herrscherhauses getreten
ist, die es in Tiryns, wo es in das alte Megaron
selbst eingegliedert ist (S. 121, 4), in Mykenae und
Athen, wo die Tempel über seinen Fundamenten
liegen, auch räumlich einnimmt. Für kleinere Hei-
ligtümer blieb der Grundriß des Megaron unver-
ändert beibehalten und er ist auch für Gebäude
anderer Bestimmung, wie für die im 6. Jahrhundert
zahlreich gebauten Schatjhäuscr (S. 122, 2) und na-
mentlich für den Hauptteil der Wohnhausanlage be-
wahrt, für diesen bis in die hellenistische Zeit (S. 160,1)
in Anwendung geblieben.
In den größeren Heiligtümern ist er in der
Cella erhalten, hier nun erweitert zu symmetrischer
Gestalt durch Anfügung einer der Vorhalle gleich-
artigen Hinterhalle, im Zusammenhang mit dem
ringsherum geführten Säulenkranze, durch den das
Ganze eine monumentale Ausgestaltung erhalten
hat. Die äußere Beziehung des Säulenumgangs mit
der Cella ist, wie deren nicht immer symmetrisch
gehaltene Gliederung selbst (S. 121), ansangs Schwan-
kungen unterworfen gewesen, wie namentlich die
unteritalischen und sizilischen Tempel (S. 125) zeigen,
bis sich die feile achsiale Verbindung aller Teile unter-
einander zu allgemeiner Geltung durchsegte. Dieselbe
anfängliche Bewahrung und Erweiterung der myke-
nischen Bauweise wie für den Grundriß lehrt das
Heraion von Olympia für den Aufbau kennen. Mit
Mauern aus Lehmziegeln auf einem durch Ortho-
staten (hochkantig gestellte Steinplatten) verklei-
deten Sockel (S. 121, 7; vgl. III S. 79,1. 2.), hölzernen
Säulen, die später, je nachdem sie schadhaft wurden,
durch die erhaltenen steinernen ersetjt sind, und mit
hölzernen Anten und Gebälk glich der Bau dem
des Megaron von Tiryns. Aber das Dach, nun außer
von den Cellamauern auch von den Säulen des Um-
gangs getragen, war nach dem Zeugnis des erhal-
haltenen Giebelakroters (S. 122, 6) nicht mehr wie
wahrscheinlich bei den mykenischen Gebäuden flach,
sondern ansteigend und zwar bereits als Giebeldach
gebildet. Mit dieser Neuerung verband sich eine
weitere, die Anwendung des gebrannten Tones, die
in der mykenischen Kunst noch auf den Töpferei-
betrieb beschränkt gewesen ist, für die Dachziegel
und für ein Schutzwerk, dessen die den Schäden der
Witterung besonders ausgesetsten Gebälke, so lange
sie aus Holz gebildet waren, bedurften. Die Schöpfung
des Giebeldaches, neben dem sich anfangs auch das