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— 21 —
Liebe auf die rechte Art anfange, vom Liebhaber des einen
schönen Leibes zu einem solchen aller schönen Leiber sich
wandle; späterhin die Schönheit in den Seelen herrlicher
halte, als die in den Leibern; sodann von letzterer ganz ab-
sehe und zur Liebe des Schönen in den Bestrebungen und
in den Sitten sich wende, um schliesslich, auf der hohen See
des Schönen angelangt, nur noch in der Idee des Einen
Schönen zu schwelgen1).
Auf dieser »hohen See.des Schönen« wird nun augen-
scheinlich auch Michelangelo von Condivi dargestellt. Die
Aussicht auf die fernen Ufer schwindet. Was sagen da noch
die verblassenden Bilder an deren Grenzen? Nicht mehr
ein schöner Alkibiades, ein »jedes schöne Ding« vielmehr
wird bewundert: die Liebe wird neutral, der Gegenstand
derselben ein reiner Gattungsbegriff.
Auch dieser, den individuellen Michelangelo dicht um-
hüllende Platonische Nebel ist, — gleich dem Colonnamythus,
— eine dauerhafte Erfindung der Condivi'schen Tage gewesen.
Denn nur einmal noch gelangte eine unbefangene Anschau-
ung zum Worte: Varchi's Rede am Sarge Michelangelo's
im Jahre 1564!
Varchi kannte die Arbeiten Vasaris und Condivi's.
»Weil andere sehr verständige Geister und Hausgenossen
des Michelangelo in ihren »Leben« ausführlich (über Michel-
angelo's Kunst) berichtet haben2),« will er bei einem Ueber-
blick über des Meisters Thätigkeit keine Wiederholungen
bringen. Um so mehr tritt dadurch wieder an Bedeutung

, cf. Platonis Sympos. cap. XXVIII. dec yaQ, e^, tot o^9w§ tovTu
x. T. I.
2) Vgl. die deutsche Übertragung dieser Leichenrede von Albert Ilg
in Quellenschriften f. Kunstgeschichte, Bd. VI, S. 104 ff.
 
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