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druck der äusseren Erscheinung deutete. Vittoria war Italie-
nerin und schön. Das Alter konnte so das, was den Plastiker
an einem Menschen in erster Linie anzieht, die edle Formen-
bestimmtheit des Typus nicht zerstören. Der Tod tritt auch
nur verklärend in solchem Falle hinzu. Michelangelo stand
ganz besonders ergriffen vor Vittoria's Leiche! Was die
Lebende nie an Wunsch hätte rege machen können, erweckt
die Todte! »Es thäte ihm nichts so leid,« will Condivi ihn
haben sagen hören, »als dass, wie er sie beim Scheiden von
diesem Leben zu sehen ging, er ihr nicht auch die Stirne
oder das Gesicht geküsst habe, gleichwie er ihr die Hand
geküsst« ,. Es ist im Uebrigen das Keuscheste von Regung,
was wohl je ein Mann dem Weibe gegenüber gefühlt hat.
Der schöne Mensch war Michelangelo'n, wie ich oben aus-
führte, eben ein Kunstwerk! Aber während die jungen
Freunde des Meisters oft nur ein solches blieben, reicht der
Einfluss dieses »grande amico« eben über den ästhetischen
Eindruck, also auch über Trennung und Tod hinaus. Darin
steht ethisch die Colonnafreundschaft höher, als Michelangelo's
rein erotische, vom platonischen Ideenschwunge wie hoch
auch immer getragene Verbindungen. Hier ist es in der
That der »s/irito«, in den er sich bei der edlen Frau »ver-
liebt« 2). Dieser »Geist« der Colonna wirkte aber ebenso
lebendig schon in ihren Gedichten. So fasse ich wenigstens
den Sinn der Stelle in dem oben gebrachten Madrigale, dass
die Freundin »die Seelen zu den Tagen des Friedens geführt«.
Das Bewusstsein einer solchen Fortdauer, ja eines gesteigerten
Einflusses selbst durch ihre Schriften, ist in der That der
Trost, den Michelangelo dem Verluste der Freundin gegen-
über empfindet:.
T) S. oben S. 17, Anm. 2.
2) S. oben S. 109, Anm. 4.
druck der äusseren Erscheinung deutete. Vittoria war Italie-
nerin und schön. Das Alter konnte so das, was den Plastiker
an einem Menschen in erster Linie anzieht, die edle Formen-
bestimmtheit des Typus nicht zerstören. Der Tod tritt auch
nur verklärend in solchem Falle hinzu. Michelangelo stand
ganz besonders ergriffen vor Vittoria's Leiche! Was die
Lebende nie an Wunsch hätte rege machen können, erweckt
die Todte! »Es thäte ihm nichts so leid,« will Condivi ihn
haben sagen hören, »als dass, wie er sie beim Scheiden von
diesem Leben zu sehen ging, er ihr nicht auch die Stirne
oder das Gesicht geküsst habe, gleichwie er ihr die Hand
geküsst« ,. Es ist im Uebrigen das Keuscheste von Regung,
was wohl je ein Mann dem Weibe gegenüber gefühlt hat.
Der schöne Mensch war Michelangelo'n, wie ich oben aus-
führte, eben ein Kunstwerk! Aber während die jungen
Freunde des Meisters oft nur ein solches blieben, reicht der
Einfluss dieses »grande amico« eben über den ästhetischen
Eindruck, also auch über Trennung und Tod hinaus. Darin
steht ethisch die Colonnafreundschaft höher, als Michelangelo's
rein erotische, vom platonischen Ideenschwunge wie hoch
auch immer getragene Verbindungen. Hier ist es in der
That der »s/irito«, in den er sich bei der edlen Frau »ver-
liebt« 2). Dieser »Geist« der Colonna wirkte aber ebenso
lebendig schon in ihren Gedichten. So fasse ich wenigstens
den Sinn der Stelle in dem oben gebrachten Madrigale, dass
die Freundin »die Seelen zu den Tagen des Friedens geführt«.
Das Bewusstsein einer solchen Fortdauer, ja eines gesteigerten
Einflusses selbst durch ihre Schriften, ist in der That der
Trost, den Michelangelo dem Verluste der Freundin gegen-
über empfindet:.
T) S. oben S. 17, Anm. 2.
2) S. oben S. 109, Anm. 4.