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145 —
»Aber die Welt kann nicht vergessen, obschon ihr Körper
todt sei, ihre süssen, schönen und heiligen Verse!« — in dem
im Todesjahre der Colonna gedichteten 6. Madrigale1). Und
betonter noch der Schluss des Sonetto LXII 2):
»0 widersprechende Effekte! Ihre Gedichte verherr-
lichen jetzt ihren Namen und verleihen ihr mehrLeben,
als sie im wirklichen Erdenwandel besessen.«
Die andere, den Nimbus des Ideals um die Freundin
breitende vita! Damit trat nicht nur die Colonnaverehrung
in ihr letztes höchstes Stadium, es erklärt diese Wendung
zugleich, wie für Michelangelo selbst später die Erinnerung
an den »grossen Freund« eine Bedeutung erhalten konnte,
welche alle übrigen Beziehungen in den Schatten stellte.
Als Condivi den Meister über Diejenigen, die seinem Herzen
nahe gestanden, befrägt, fällt diesem nur — die Colonna
ein! Doch hatte eine solche Hervorhebung der Vittoria-
freundschaft, wie ich schon oben andeutete, eben noch einen
anderen Grund.
Mitten in den Aufschwung des Verhältnisses, in die
Zeit der sich steigernden Intimität zwischen der Marchesa
und dem Künstler, fiel jener giftige Brief Aretino's ein, der
Kunst und Leben Michelangelos einem scandalsüchtigen
Publicum preiszugeben versuchte! Der Meister antwortete
nicht direct auf diese Herausforderung. Bot sich nun aber
die Gelegenheit — und die Condivi'sche Relation über sein
Leben war eine solche — konnte er da den »Kanalmenschen«3)
, »N^ metter puo in oblio
Beucht 'l corpo sia morto,

I suo' dolci leggiadri e sacri inchiostri.« Guasti, a. a. O., p. 31.

2) »Contratti effetti alluminan le carte
Di vita piü che 'n vita non solea« ecc. ~'

3) Ein michelangelesker Ausdruck: »uomini fognati« cf. Vasari, Vite
XII, p. 279.
Scheffler, Michelangelo. IO
 
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