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Scheftelowitz, Isidor
Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben und Brauch der Völker — Gießen, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.13441#0060
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I. Scheftelowitz

7. Der Trauerstrick

Bei verschiedenen Völkern ist es Sitte, daß bei einem
Todesfall die nächsten Verwandten des Toten sich einen Strick
umbinden. Hiermit wollte man sich ursprünglich vor den
unsichtbaren Angriffen des Dahingeschiedenen schützen. Denn
vor einer Schlinge beben die bösen Geister zurück1. Daher
krochen im alten Indien die Leidtragenden beim Verlassen
des Begräbnisplatzes unter einem dornigen Ast und einer
Schlinge hindurch2, denn sowohl der Dorn3 als auch die
Schlinge bilden ein Hemmnis für die Dämonen. In Neu-Guinea
besteht die Trauertracht einer leidtragenden Frau gewöhnlich
in einem Netz. Bei den Lae-Womba tragen die Witwen zwei

1 Nach Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker 144 und 326 soll
der Trauerstrick ein Verbindungsmittel des Lebenden mit dem Toten dar-
stellen: „Der Überlebende will noch mit dem Toten in Beziehung bleiben".
Doch die älteste Art der Totenbestattung, die den Zweck hatte, die Bück-
kehr des Totengeistes unmöglich zu machen, widerspricht dieser Auffassung,
siehe S. 23 ff. und ferner S. 41 f. wo die Schnuramulette Schutz vor bösen
Geistern gewähren.

2 Caland, Die altindisehen Toten- und Bestattungsgebräuche 1896, 74.

3 So hängen die Dajaks (in Borneo) an das Haus der Wöchnerin
eine Schlingpflanze mit scharfen Dornen als Schutzmittel (H. Ploß, Das
Kind, 3. Aufl. 1911 Bd I 118). Die Eingeborenen des Sawu- oder Haawu
Archipels suchen den Zutritt der Dämonen zum Hause einer Wöchnerin
durch Dorngebüsch zu verwehren (Ploß, Das Weib9 II 324). In Korn und
Griechenland herrschte die Vorstellung, daß der Weißdorn (t/äfivos) vor
dämonischen Einflüssen schütze, weshalb man ihn bei Geburten und Todes-
fällen am Eingange des Hauses anheftete (Ovid Fast. VI 129 ff. und 165;
Bötticher, Baumkultus 360; Preller, Köm. Myth.3 II 238; E. Samter, Ge-
burt, Hochzeit und Tod, 1911, 73). In Island kommen Gespenster oder
sonstige Dämonen nicht ins Haus, an dem ein Dorn befestigt ist (Ztschr. d.
Ver. f. Volksk. XIII 275). Gegen diesen Brauch, der auch bei den Juden
üblich war, wendet sich Tosefta Sabbat VII 4: „Wer das Fenster mit
einem Dornzweige verschließt, übt einen heidnischen Brauch". Die Wolofs
(Afrika) umgeben das Grab mit einem Dornbusch (A. Featherman Soc.
Eist, of races of mankind I 1885, 357). Die mit Stacheln versehenen
Zweige einer wilden Kose werden bei den Wotjäken als Schutz gegen böse
Geister über die Tür der Hütte gehängt (A. Featherman aaO. IV 525). Aus
demselben Grunde legen die Indianer von Britisch Columbia Dornen um
ihre Betten (Frazer Golden ßough3 II 142).
 
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