Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schlegel, August Wilhelm von
A.W. Schlegels Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst (Band 1) (1801 - 1802) - Die Kunstlehre — Heilbronn: Henninger, 1884

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47307#0423
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
347

trachtete und fühlte, verhielt er sich gegen sie wie gegen andre
natürliche Dinge, die er zu seinem Vortheil zu gewinnen
suchte, und wenn es nicht gelang, von ihnen leiden mußte.
Er war ein Kind des Zufalls, und dachte, wiewohl ängstlich
für seine Zukunft besorgt, doch dabey nicht über seine sinnliche 5
Umgebung, über das zunächst darauf eiuwirkende hinaus.
Sobald aber ein höheres Vermögen in ihm erwachte, nämlich
das der Freiheit, das Bewußtseyn ursprünglicher und absoluter
Selbstbestimmung, so konnte er auch bey jener Weltansicht
nicht stehen bleiben; selbst die Gränzenlosigkeit der Natur, m
welche iu dem immer sich erweiternden Polytheismus und der
chaotischen Form der ganzen Mythologie sehr gut ausgedrückt
war, befriedigte ihn nicht. Er vermißte das Absolute darin,
und da er es in keinem Theile derselben fand, mußte er es
jenseits hinaus verlegen, und zwar als Gegensatz des Absoluten is
in ihm, also als absolute Nothwendigkeit. Dieser nun wurde
die Götterwelt selbst, als zur Natur gehörig, im einzelnen
s20bj unterworfen; aus der andern Seite ward sie aber der
Geist dieser mythischen Weltregierung im Ganzen. Das ist
die dunkle furchtbare Idee, von der man schon im Homer den 20
ersten Keim findet, die jedoch erst von den Tragikern voll-
ständig entwickelt ward, und zwar so, daß sich ihre ganze
Kunst darum wie um ihren Angel dreht, der überhaupt den
höchsten Gipfel der Griechischen Poesie bezeichnet. Innerhalb
der Natur war der Mensch mit sich selbst einig, und wir 35
finden die Erscheinung eines harmonischen Daseyns nirgends
so vollendet als in der Griechischen Welt; aber jenseits der
Natur begann der Widerstreit, und das Gefühl seiner Gött-
lichkeit konnte der Mensch damals nur um diesen Preis er-
kaufen. Das Schicksal war nicht selbst sittlich, sondern nur 30
der Prüfstein der Sittlichkeit, der unerweichliche Stahl, der
aus dem Innersten des harten menschlichen Gemüthes die
schönen Funken schlug. So ist eigentlich die Möglichkeit der
Empörung gegen die Götter der höchste Triumph der heidnischen
Religion, und alle große erhabne Menschheit des Alterthums 35
kann man sich unter dem Bilde des Prometheus denken, der
für die Fortschritte, wozu er feinem Geschlechte verhalf, an
 
Annotationen