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Klage der Andromache um den Astyanax ist sehr rührend, doch
erinnert sie s282»s an den Homer. Das Ende, wie die ge-
fangnen Weiber sich zu den Schiffen wendend das brennende
und einstürzende Troja hinter sich lassen, ist einmal wirklich
groß. Auch die Hekuba hat rührende Stellen, doch ist sie 5
aus nrcht gehörigen Theileu componirt.
Endlich schließt sich an die Trojanische Mythologie Helena
an, aber auf eine für sie ganz vernichtende Art. Die Er-
findung, welche ihm zur Iphigenia in Tauri gedient hatte,
ist hier in die Caricatur getrieben, indem er den Paris ein 10
Luftbild entführen, und Griechen und Trojaner sich 10 Jahre
darum fchlagen, die wahre Helena aber unterdessen in Aegypten
leben laßt. Dieß giebt ihm Anlaß zu andern höchst aben-
theuerlichen Erfindungen und Situationen die offenbar mehr
für die Komödie als die Tragödie paffen. Dann endigt das w
Stück auf die beliebte Weise mit Lügen und Betrug und einer
Göttererscheinung. Es ist Schade, daß Euripides die Geschichte
vom Doctor Faust nicht hat wissen können, wie ihm der
Satan zu seinen Lüsten die Griechische Helena schaffen muß,
sonst hätte er sein Luftbild, womit er nachher nichts anzu- 20
fangen weiß, vortrefflich an den Mann bringen können. Jene
Geschichte ist zwar in ihrem Zusammenhangs vortrefflich und
hat eine große selbst schauerliche Bedeutung, allein in eine
Griechische Tragödie paßt sie nicht s282vs besser als die Er-
findungen des Euripides, wodurch die Mythologie den Mährcheu 25
aus tausend und einer Nacht sehr ähnlich wird.
Es ließe sich eine interessante Untersuchung darüber an-
stellen, wie sich schon in manchen alten Dichtern, namentlich
im Euripides (auch im Ovid) das Streben nach dem Roman-
tischen äußert, welches aber, wegen des Übergewichtes einer so
Bildung von ganz entgegengesetztem Charakter, entweder roh
oder verworren, oder gleich in der Entstehung corrumpirt er-
scheint. Dieß ist aber noch ganz etwas anders, als das
Sentimentale, welches philosophische Theoretiker unter dem
herrschenden Naiven in einigen alten Dichtern haben finden 35
wollen. Überhaupt reicht mau mit dieser Eintheilung in der
Geschichte der Poesie nicht weit: es sind Verhältnißbeariffe
 
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