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nung der Reflexion von der Erzählung scheint aber keines-
weges eine Vervollkommnung, sondern vielmehr eine Störung
der Harmonie: so wie die Reflexion den höchsten Grad .
lebendiger Anschaulichkeit erreicht hat, wird sie wieder in die
Darstellung übergehen, und es wird eine neue umfassendere s
Form für diese gefunden werden. Ich glaube allerdings,
daß eine höhere Vollendung der Geschichte möglich ist, aber
nur indem inan mit Absicht und Besonnenheit zu dem zurück-
kehrt, was jene großen Meister unbewußt aus unmittelbarem
Triebe thaten, sie muß sich zu ihren Werken wie Kunstpoesie m
zur Naturpoesie verhalten.
Die Philologie ist an sich ein liberales Studium,
weil es bloß aus Übung und Bildung des Geistes im all-
gemeinen abzweckt, und sich der Gemeinnützigkeit bestimmter
Anwendungen entzieht. Man hat sie aber auch in der neueren is
Epoche diesen unterwürfig machen wollen, und dadurch ans
Abwege geleitet. Die älteren Philologen suchten den Schülern
bloß den Buchstaben der alten Autoren zu eröffnen, in der
Zuversicht, wenn sie selbigen treufleißig erlernt hätten, würde
ihnen der Geist mach dem Maaße ihres Sinnes von selbst 20
aufgehen. Jetzt hat man sie voreilig in diesen einzu-
weihen gedacht, ohne ihn selbst recht gefaßt zu haben: man
hat in Noten viel über die Schönheiten der Dichter gefaselt,
man hat die Mythologie nach oberflächlichen Ansichten aus
der sogenannten Geschichte der Menschheit, d. h. aus Ver- 2s
gleichungen mit andern Nationen auf gleichen Stufen der
Cultur i) zugestutzt, u. s. w. Was ist dabey herausgekommen?
Die grammatische Gründlichkeit ist vernachlässigt, und das
Höhere nicht erreicht worden. Die besseren Philologen haben
dieß eingesehen, und fahren wieder aus dem von ihren Vor- 30
gängern betretnen Wege fort, den Text der alten Autoren zu
säubern und herzustellen, und sie durch' mancherlei) kritische
Untersuchungen für Kenner (denn die Schüler überläßt man
besser dem mündlichen Unterrichte) zu beleuchten. So vor-
i) Diese' Vergleichungen sind an sich nicht zu tadeln, nur mit 35
der größten Vorsicht zu gebrauchen, daß man die Unähnlichkeiten
eben so sehr beachte als die Analogie.
 
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