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Schliemann, Heinrich
Orchomenos: Bericht über meine Ausgrabungen im böotischen Orchomenos — Leipzig, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.961#0020
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gerader Linie südlich von der alten Stadt. Strabo1 bemerkt,
dass man vermuthete, das Orchomenos seiner Zeit stände nicht
auf der Baustelle der alten Stadt, da die Ueberschwemmungen
des Sees die Einwohner gezwungen hätten, sich von der Ebene
nach dein Akontion zurückzuziehen. Diese Meinung scheint
jedenfalls durch die Lage der Schatzkammer, ausserhalb der
noch von Leake gesehenen Stadtmauer, bestärkt zu werden, denn
unmöglich können wir annehmen, dass Minyas sie so gebaut
haben könnte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die alte
Stadt zur Zeit seiner Grossmacht sich bis zum Ufer des Ke-
phissos ausgedehnt haben mag, um so mehr als das ungefähr
auf der Hälfte des We<rs zwischen der Schatzkammer und dem
Kephissos befindliche Kloster von Skripu genau auf der Bau-
stelle des Charitentempels steht, denn der diesen Göttinnen ge-
weihte marmorne Dreifuss, den man in der Klosterkirche sieht,
wurde in einer dort gemachten Ausgrabung gefunden. Dieser
Tempel war aus grossen behauenen Blöcken aus Sandstein ge-
baut, und er scheint zerstört worden zu sein, um die Steine
zum Bau des Klosters zu benutzen, in dessen Mauern, und
namentlich in denen der Kirche, man die verschiedensten Arten
des Tempelbaumaterials sieht, nämlich Thürschwellen, Basen von
Säulen und eine sehr grosse Masse von Säulentrommeln — alles
aus Sandstein. Nach Pausanias war der Charitentempel sehr
alt und war der Cultus dieser Göttinnen eingesetzt von Eteokles,
dem Sohne des Andreus, oder des Kephissos, welchem sie als
formlose Felsstücke vom Himmel gefallen waren. Pausanias
fügt hinzu, dass künstlich gearbeitete Statuen der Chariten
erst zu seiner Zeit aufgestellt wurden, und dass die Idole
dieser Göttinnen, in Gestalt jener rohen Steine, die höchste Ver-
ehrung hatten.2 Der Gedanke kommt nun unwillkürlich in uns

1 Strabo IX, 416.

2 Pausanias IX, 34 und 38.
 
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