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Schlosser, Julius von [Hrsg.]
Der burgundische Paramentenschatz des Ordens vom Goldenen Vliesse — Wien, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3995#0009
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E. v. Sacken hat sie in einem kurzen Aufsatze: Die Pluviale-Agraffen des Toison-
Meßornates (Mitteilungen der k. k. Zentralkommission, N. T. VII, 1881, 118) besprochen
und tatsächlich als Arbeiten aus der Zeit Philipps, als des vierten Ordenssouveräns,
in Anspruch genommen. Dagegen hält sie Ilg in seinem Führer durch die Sammlung
kunstindustrieller Gegenstände (Wien 1891, S. 3) für späte Erneuerungen der ursprüng-
lichen Schließen; bei aller Reserve muß zugestanden werden, daß die recht mangel-
hafte Technik, die sonderbare Ungeschicklichkeit in der Formengebung, die man
einer so frühen Zeit kaum zutrauen möchte, diesen Gedanken plausibel erscheinen
lassen; manches erinnert geradezu an die romantische Gotik der Zeit Franz II., und
es ist nicht ausgeschlossen, daß die (möglicherweise schadhaften) älteren Stücke
erst nach der Übertragung des Paramentenschatzes nach Wien restituiert worden
sind. Im Typus erinnern sie an das noch heute gebrauchte, dem 16. Jahrhundert
entstammende, große Siegel des Toisonordens. (Siehe die Kopf- und Schluß-
vignetten.)

Alle diese Meßgewänder haben die charakteristische liturgische Form, wie sie
sich bis zum 15. Jahrhundert entwickelt hatte. Die Antependien folgen der schon
von der byzantinischen Kunst ausgebildeten Form des Andachtsbildes, das eine größere
Mittelkomposition zwischen kleineren sie symmetrisch flankierenden zeigt. Die Dal-
matiken haben die charakteristischen Stäbe, die großen Chormäntel die breitgestickten
Borten (aurifrisia) und den Rest der einstigen Kapuze des »Pluviale«, den Clipeus, auf
beiden war Gelegenheit zu besonders prächtigen Darstellungen geboten. Die Stoffe
sämtlicher Priestergewänder sind gleichförmig gemustert; es sind gestreckte Sechs-
ecke, von breiten gemusterten Goldstreifen auf karminrotem Fond gebildet, deren
Ecken durch Rosetten in Perlenstickerei auf dunkelblauem Grunde markiert werden.
Das Karmoisinrot (cramoisy) ist, wie hier nebenbei bemerkt werden soll, die offizielle
Farbe des Toisonornats, wie auch der noch in der Schatzkammer bewahrte Ritter-
mantel aus der Zeit Karls des Kühnen zeigt. Perlen, größere und kleinere, sind über-
haupt mit vollen Händen über das ganze ausgestreut, sie sind zur Musterung verwendet,
folgen den Gewandsäumen, heben einzelne Attribute hervor usw. Die Kronen der
Jungfrau und der heil. Katharina zeigen überdies Edelsteinschmuck, gemugelte Saphire
und Topase. Für die Kasula und die beiden Dalmatiken wurden Stoffe, die genau
das gleiche Muster wie die drei großen Chormäntel zeigen, verwendet. Nur ist für die
Kasula ein aus dem Halbrund des Pluviale konstruierter Stoff, bei dem die Kompar-
timente nach unten zu sich verbreitern, verwendet, während für die Dalmatiken ein
anderer, unten geradlinig abschließender und infolgedessen etwas anders gemusterter
Stoff, der schon ursprünglich für eine Dalmatika gedacht gewesen war, gebraucht wurde.
Eine barbarische Schneiderhand hat dann rücksichtslos in diese kostbaren Stoffe hinein-
geschnitten, um wohl oder übel die Form der verlangten Meßgewänder herauszu-
bringen; die Schere ist mitten durch die Figuren gefahren und hat sie verstümmelt,
namentlich bei den beiden Dalmatiken. Da die aufgesetzten Stücke der Kasula
außerdem einen etwas späteren Stil zu verraten scheinen als die ursprünglichen
Stoffe und Borten, so wird man die Umformung wohl eben in diese spätere Zeit
versetzen dürfen.
 
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