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Schlosser, Julius von
Die Schatzkammer des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien: dargestellt in ihren vornehmsten Denkmälern ; mit 64 Tafeln und 44 Textabbildungen — Wien, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.14052#0092
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bürg gehört, zusammen mit dem gleich zu erwähnenden «Ainkhürn»,
wohl des Gralzaubers halber, der sie umwebt. In verschiedenen Ver*
trägen, die öfter erneut worden sind und deren ältester von 1564 datiert,
wird ausdrücklich festgesetzt, daß beide Stücke in Verwahrung des je*
weils regierenden Fürsten der österreichischen Lande zu bleiben hätten
und niemals über deren Grenzen gebracht werden dürften.

Das ihr derart zugesellte Stück der kaiserlichen Hauskleinodien ist
eben das «Ainkhürn», kein Artefakt, sondern eine «Naturalie» ganz
unbestimmbaren Alters, die sagenhafte Wehr des Einhorns, in Wirk*
lichkeit ein gewaltiger Narwalzahn, fast zwei und einen halben Meter
lang, an seinem größten Durchmesser sechs Zentimeter messend. Stücke
dieser Art erfreuten sich seit dem Mittelalter und die ganze Renaissance
hindurch einer uns kaum mehr verständlichen Wertschätzung, die die
Aufnahme des Zahnes in die oben genannten Verträge erklärt. Übri*
gens wirkt auch hier mystischer Legendenzauber mit. Das Einhorn
gehört in die wundersame Naturgeschichte der Greifenklauen (Anti*
lopenhörner), Natternzungen, Straußeneier, Bezoare usw., die noch im
Kunstgewerbe der Spätrenaissance eine so große Rolle spielen. Be*
sonders durch Größe und Schönheit ausgezeichnete Stücke wurden
mit fabelhaften Seltenheitspreisen bezahlt, wie man sie kaum an hervor*
ragende Kunstwerke wandte, und finden sich heute noch an hervor*
ragenden Stellen. Im Inventar der Mediceer von 1492 ist ein solches
Einhorn auf sechstausend Gulden geschätzt; für ein anderes hat wieder
ein Mediceer, Papst Clemens VII., gar siebenundzwanzigtausend Du*
katen bezahlt; freilich darf man, zumal in diesem Zeitalter, der Fähig*
keit, die man dem Einhorn zuschrieb, nicht vergessen, der Fähigkeit,
Gifte erkennen zu lassen. Das Wiener Stück ist wohl eines der größten
seiner Gattung; mannshohe Exemplare finden sich heute noch im
Schatz von S. Marco in Venedig, auf Schloß Rosenborg zu Kopen*
hagen, im Museo Civico zu Bologna, dieses auf reichstem Renaissance*
postament. Auch im Inventar der Gonzaga von Mantua wird noch
1631 ein besonders großes Stück aufgeführt, und ein reichgeschnitztes,
ehedem in der alten Apotheke der Albrizzi, ist jetzt im Museo archeo*
logico von Venedig. Das acht Schuh lange Einhorn im Chor des

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