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Die Kunsttheorie Mittelitaliens vor Vasari. 203

anderes aus ihm herausbringen als das sibyllinische Diktum: Skulptur
und Malerei haben denselben Zweck, der von beiden sehr schwer
erreicht werde. Man sieht förmlich das sardonische Lächeln (g/iignendo)
um die Mundwinkel des großen Alten, das Vasari denn auch als ge-
treuer Berichterstatter zu melden nicht versäumt!

Einer Berühmtheit wie Varchi gegenüber, der als offizieller Redner
auftrat, mußte er aber doch den literarischen guten Ton wahren. So
orakelt denn der alte Danteleser, Varchis lichtvolle Darlegung (für
sich wird er wohl so etwas wie den Ausdruck »gelehrte Windbeutelei",
den Justi braucht, gebrummelt haben) habe ihn seine Meinung ändern
lassen: Skulptur und Malerei verhielten sich wie Sonne und Mond, und
wie dieser von jener sein Licht erhalte, so sei es auch hier. Es ist das
uralte mittelalterliche Gleichnis von Papst- und Kaisertum. Hier meldet
sich dann jener berühmte, alte, schon bei L. B. Alberti auftauchende
Concetto, der durch Michelangelos Autorität nun neues Ansehen er-
hielt: die Scheidung zwischen der echten eigentlichen Skulptur (im
Sinne der Alten) per forza di levare (der Steinbildnerei) und der Plastik
per via di porre, die der Malerei wesensverwandt sei. Borinski hat
gezeigt, daß der Gedanke letzten Endes im christlichen Neuplatonismus
wurzelt, also demselben Boden entwachsen ist wie Name und Begriff
der Renaissance selbst (Burdach). Die Leichenrede auf Michelangelo,
die wir vorwegnehmen wollen, obwohl sie über die hier behandelte
Periode hinausliegt, ist im üblichen Akademiestil gehalten. Eingefügt
ist ihr eine der seit langem herkömmlichen Revuen der florentinischen
Kunstentwicklung; als deren krönender Gipfel erscheint natürlich
der große tote Meister. Im übrigen bietet sie, kurz vor dem Er-
scheinen der zweiten Auflage Vasaris veröffentlicht, eben nichts Eigen-
tümliches.

Varchi beruft sich selbst auf Vorg'änger wie L. B. Alberti und
Castiglione. Es ist in der Tat bezeichnend, daß das Modethema der
Hochrenaissance auch in dem Brevier der vornehmen Welt dieser
Zeit, das wie Giovanni della Casas Galateo bald europäischen Ruf er-
langte, eben in Castigliones Coriigiano von 1527 abgehandelt wird.
Nicht minder, daß einer der berühmtesten Arzte dieser Zeit, Girolamo
Cardano, es in seiner Schrift De subtilitate (1550) aufgreift, der
Malerei den Vorzug gebend. Noch im folgenden Jahrhundert hat dann
der große Galilei in einem Briefe an den Maler Cigoli (1612) in diesem
Streite das Wort ergriffen. Der Traktat, den Giovanni della Casa
(t 1556) nach Vasaris Aussage der Kunst der Malerei widmen wollte,
ist sicher nicht daran vorbeigegangen, wenigstens läßt die Notiz, daß
er sich zur Erläuterung seiner Theorien von Daniele da Volterra das
Tonmodell eines David herstellen und dieses dann in Vorder- und
Rückenansicht auf eine Tafel malen ließ, kaum anders auffassen; die
 
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