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Schlosser, Julius
"Stilgeschichte" und "Sprachgeschichte" der bildenden Kunst: ein Rückblick — München: Verl. der Bayer. Akad. d. Wiss., 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.45317#0007
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Die folgenden Erörterungen eines Kunsthistorikers zu einem
Grundproblem seiner Disziplin leiden nicht an der Einbildung,
etwas grundsätzlich Neues und Entscheidendes zu bringen: sie
liegen vielmehr, wie man zu sagen pflegt, in der Luft, sind, was
die erste der beiden an der Spitze dieses Aufsatzes stehenden
Begriffsbestimmungen angeht, längst formuliert, wenn auch,
zumal auf deutscher Erde, nur sehr teilweise ins Allgemein-
bewußtsein gedrungen, am allerwenigsten innerhalb jener enge-
ren Grenzen. Was die zweite anbelangt, so ist sie in der Schei-
dung von Literatur- und Sprachwissenschaft zwar längst aus-
gedrückt, für unser „Fach“ wohl erahnt, mit voller Deutlich-
keit und Strenge aber kaum jemals umrissen worden. Allein auch
die erste bedarf noch einer näheren Erläuterung, da sonst die
Gefahr eines Mißverständnisses sehr nahe liegt, als ob hier vom
sog. „objektiven“, dem „Zeitstil“ die Rede wäre, eine Namen-
gebung, die seit langem namentlich in der Architekturgeschichte,
wo sie kaum mehr viel Schaden anstiften kann, herkömmlich ist.
Es geht jedoch um den ursprünglichen, etymologischen und ein-
zig genuinen Sinn des Wortes stilus, den „Griffel“ des Meisters,
seine Handweise, das, was die Italiener ursprünglich unter „ma-
niera“ verstanden haben. Mithin um das, was im echten und
einzig autonomen Sinne „Geschichte der Kunst“ genannt wer-
den muß, ganz gleichgültig, ob es sich um Augen- oder Ohren-
kunst, um Architektur und Bildkunst, um Musik oder Dichtung
handelt, womit der alte Wahn, der „Lessingsche Irrtum“ ■—- wie
ihn Croce nennt — von den „Grenzen“ und Eigengesetzen der
„Künste“, wie deren „Gattungen“ ausgeschlossen bleiben muß,
obgleich er immer noch seine Blößen zeigt; es ist gar nicht
einmal so lange her, daß der Münchener Ästhetiker Lipps über
„Kunstsünden der Plastik“ gehandelt hat, und dieser pfäffische
Ausdruck ist allein schon so bezeichnend wie möglich für das
Merkerwesen, aus dem er stammt. Liegt bei unserer ersten Be-
griffsbestimmung für den Einsichtigen heute kein Problem mehr
vor — oder sollte wenigstens nicht mehr vorliegen —, so harrt
bei der zweiten ein solches tatsächlich noch der Stellung und
Lösung. Denn, gibt es tatsächlich eine der Wortsprache gleich-
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