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Schlosser, Julius
"Stilgeschichte" und "Sprachgeschichte" der bildenden Kunst: ein Rückblick — München: Verl. der Bayer. Akad. d. Wiss., 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.45317#0030
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Julius von Schlosser

Sinne stetiger „Evolution“ oder sprunghafter „Mutation“, eines
absoluten Fortschrittes, wie ihn eine ältere Zeit vertreten, oder
eines immanenten, zu dem unsere Gegenwart neigt ? Auf dem
ersten Standpunkt befand sich Vasari, der als bewußter Epigone
den Höhepunkt in den Regreß der Dekadenz nach M. Angelo
ausmünden läßt; das höchst vieldeutige Problem des Verfalls
taucht empor, das durch den italienischen Humanismus schon
längst für das sog. gotische Mittelalter der ersten nationalen
Hochperiode gegenüber statuiert war und das im Klassizismus
wieder für das „Barocco“ erneut wird. W. Gurlitt hat erst un-
längst in einem sehr lesenswerten Aufsatz darauf hingewiesen,
daß die jüngste aller sog. Kunstwissenschaften, die Musikge-
schichte, noch heute großenteils auf jenem Standpunkt des abso-
luten Fortschritts verharrt, was übrigens auch für die Geschichte
der bildenden Kunst gilt. Selbst ein A. Riegl hat in seinem ersten
großen Werk, den „Stilfragen“, noch geäußert, die Rolle des Trä-
gers der „Evolution“ falle seit der Spätantike immer mehr der
„entwicklungsfähigeren“ Malerei statt wie vorher der Plastik zu.
Sicher ist ja Geschichte der Philosophie nicht, wie seichte Spöt-
ter öfters gemeint haben, eine Sammlung der Irrtümer des Men-
schengeistes, darin jedes (geschlossene) System, sich für das rich-
tige ausgebend, die vorhergehenden oder gleichlaufenden ne-
giert und aufhebt, als eine ewige Teppichwirkerin Penelope, son-
dern es tritt hier wieder der unvergleichlich tiefere Doppelsinn
des letzten Wortes ein, den Hegel — selbst ein großer Histori-
ker •—- ihm verliehen hat, und den wir schon auf die Geschichte
der (höhern) Kunstkritik anwenden durften. Wohl arbeitet jeder
Denker, ist er nur wirklich ein „Schöpfer“, an seinen ihm in-
nerlich zugehörigen Problemstellungen; darin scheint er dem
schaffenden Künstler zu gleichen, der seine „Probleme“ nicht
als toten Stoff weiterschleppen darf, sondern sie als gegenwär-
tig erleben muß, dadurch, daß sie, sein geschichtliches Erbe, in
ihm „aufgehoben“, d. h. überwunden werden, umgestaltet, sei-
nem Sinn und seiner Sendung gemäß, womit tatsächlich etwas
Neues und eben darum Weiterwirkendes entsteht. Nie kann es
daher ein „geschlossenes“, d. h. endgültiges System geben — weil
es Stillstand und Tod bedeutete. Nur der geoffenbarten Reli-
gion ist dergleichen zugänglich und erlaubt; hier klafft der Dua-
 
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