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Carl F. Schlüter, Kunst- und Auktionshaus <Hamburg> [Editor]
Gemälde-Galerie Gustav Ritter, Bremen und aus anderem Besitz: Versteigerung: 31. Mai bis 3. Juni 1927 — Hamburg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.24035#0007
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ALTE UND NEUE KUNST

Nur in einer Zeit wie die unsrige, die selbst keinen eigenen Stil
hervorgebracht hat, war es möglich, daß man sich so tolerant
und verständnisvoll gegenüber der Kunst vergangener Zeiten
und fremder Völker verhalten konnte. Gestützt auf die großen
Erfahrungen der Wissenschaft haben wir allmählich gelernt,
an das große Gesamtgebiet der Kunst ohne ungerechte Vorteile
und ohne vorgefaßte Meinungen heranzutreten. (Ob dies aller-
dings immer möglich sein wird, ist eine Frage für sich, wie es
andererseits auch noch nicht feststeht, ob diese etwas mühsam
angewöhnte Objektivität der Kunst im allgemeinen gegenüber
dem eigenen Kunstschaffen förderlich sein wird — eher wird
wohl das Gegenteil der Fall sein!) Wir wollen keinen Stil mehr
gegen den anderen ausspielen; wir haben gelernt den gotischen
Stil ebenso hoch einzuschätzen wie den romanischen, wir fas-
sen die Epoche der Renaissance als das vollkommenste in ihrer
Art auf, aber ebenso empfinden wir den Schwung und die Glut
des Barocks als das Höchste oder begeistern uns an der grazi-
ösen Ueppigkeit des Rokokos.

Verhältnismäßig einfach ist dieses Erkennen des besonderen
Charakters der Kunstwerke auf dem Gebiete der Malerei, be-
sonders wenn man sich auf die letzten Jahrhunderte beschränkt,
denn immer, wie man die Kunstgeschichte auch einteilen will,
wird man den Beginn einer neuen Kunstanschauung an den An-
fang des 15. Jahrhunderts setzen, denn die Fresken des großen
Florentiners Masaccio in der Brancacci-Kapelle der Carmine-
Kirche bedeuten ebenso etwas gänzlich Neues, wie das große
Altarwerk der Gebrüder van Eyck in der St. Bavo-Kirche zu
Gent. Waren früher die Augen der kunstliebenden Menschen
fast ausschließlich auf die Welt der italienischen Renaissance
gerichtet, so scheint sich heute das Blatt gewendet zu haben,
die Kunst der nordischen Völker ist uns heutzutage ebenso
wichtig wie die der südlichen fremden Länder. Es ist ja auch
ganz natürlich, wir finden den Zugang zu den Bildern der nie-
derländischen Maler in ihrer einfachen Menschlichkeit und an-
mutigen Natürlichkeit viel eher als zu den hohen und feierlichen
Gemälden der italienischen Renaissance. In den Werken des
uns stammverwandten niederländischen Volkes erkennen wir
Geist von unserem Geiste, Blut von unserem Blute. Man sehe
sich nur einmal darauf hin die Bilder an, wie sie der Zufall
in die jetzige Kunstversteigerung bei C. F. Schlüter zusam-
mengebracht hat. Aus der Zeit des Uebergangs von der noch
kirchlich gebundenen Malerei des 15. Jahrhunderts zu der
freien Kunst des 17. Jahrhunderts stammt die große Waldland-

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