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Schmarsow, August
Kompositionsgesetze in der Kunst des Mittelalters: 1. Halbband: Grundlegung und romanische Architektur — Forschungen zur Formgeschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 2: Bonn: Schroeder, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.66534#0090
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76

Grundlegung

eine Prozession aneinandergereihter Heiligen, hier männlicher dort weib-
licher, dahinwallen zu dem Zielpunkt am andern Ende. Es ist der Vollzug
der Wandelbahn drunten, nur in verklärter Erscheinung durch die höhe-
ren Wesen der Seligen, der Vorbilder in der Höhe, aber im selben
feierlichen Zuge, wie dem innern Drang der Sehnsucht gehorchend,
bis zur Stätte der Huldigung- am Thron des Ewigen, der wieder hüben
und drüben den Abschluß bezeichnet, — wie drunten auch unter dem
Triumphbogen des Allerheiligsten.
In dem einheitlichen Verlauf der regelmäßigen Reihung verkün-
det sich auch das Hausgesetz der altchristlichen Basilika und gibt
uns die Gewißheit, daß wir nicht fehlgehen, wenn wir es, in solcher
Urkunde vor Augen gestellt, zum Ausgang der weiteren Entwicklung
nehmen. Bestätigt doch zunächst die Behandlung des Lichtgadens
über den geschlossenen Obermauern durch die Rückkehr zum regel-
mäßigen Wechsel der schlichten Flächen mit den Fensteröffnungen
darin die bewußte Durchführung des unten herrschenden Prinzips.
Die Lichtzufuhr, anstelle der Schattenöffnungen der Intervalle zwischen
den Säulen unten, gibt diesem obersten Geschoß, das wir nur als „Ideal-
raum“ auffassen können, mit andern Mitteln doch eine rhythmisch gleich-
wertige, nur wieder verklärte, Dynamik des ganzen Verlaufes und
leitet auch hier durch den Parallelismus der Seiten zu dem näm-
lichen Abschluß des Langhauses, wo sich über dem breiten Bogen
der Apsisfront, der beide Hälften des Lichtgadens zusammenfaßt, nur
noch eine Bildwand hinbreitet, für die letzte Versinnlichung des herr-
schenden Ideals in erhöhtem Augenschein.
Die Fensteröffnungen des Lichtgadens nehmen jedoch unsre Auf-
merksamkeit noch als wiederkehrende Reizkomplexe in erhöhtem
Maße dadurch in Anspruch, daß diese Reihen elementarer Einwirkung
von der Außenwelt in den Innenraum hinein zu allen Tageszeiten,
und mögen sie auch durch Marmorplatten oder Gitterwerk verschlos-
sen gewesen sein, eine dynamische Rhythmik des Lichtschimmers und
seiner umrahmenden Wandflächen dazwischen hervorbrachten. Jede
solche Fensteröffnung hebt sich durch die einstrahlende Helligkeit
mehr oder minder stark aus dem durchlaufenden Zusammenhang der
raumschließenden Fläche hervor und wird zur Dominante, der sich
ihre Umgebung in wechselnden Grenzen unterordnet. Jeder solcher
Ausschnitt zur Lichtzufuhr ist im eigentlichen Sinne eine Lichtgestalt,
d. h. eine Helligkeitsphase im Verlauf des Wandstreifens, und die
ganze Reihe hüben und drüben bewirkt einen fühlbaren Wellenschlag
der Reizhöhen und der Senkungen dazwischen für unsre entlang glei-
 
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