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Lichtgaden — Motiv

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tenden Blicke. Die Intensität des eindringenden Sonnenscheins ordnet
sich die benachbarten Grenzen so zwingend unter, daß diese völlig
von dem Kraftzentrum abhängig erscheinen und nur als seine Begleit-
formationen eingeschätzt werden. Um die Proportionalität der Mitte
schweben symmetrische Hälften als zurücktretende Trabanten: das
Urgesetz des Rhythmus waltet in dieser optischen Zone. Bleiben wir
innerhalb des lebendigen Vollzuges beim Durchschreiten des Innen-
raums von einem Ende bis zum andern, so ist klar, daß es sich um
ein Gesetz des Zusammenschlusses innerhalb der fortlaufenden Reihe
handelt, um eine Verteilung von Akzenten, die ihrer Machtsphäre ge-
mäß alles Dazwischenliegende an sich heranziehen. Gilt es nun der
Ortsbewegung entsprechend für solchen Komplex einen Namen zu
finden, der dem Anschluß der optischen Erscheinung an die motorische
Region gerecht würde, so dürften wir statt der rein sichtbaren „Phase“
vielmehr eine Bewegungseinheit suchen und deshalb wörtlich den
Ausdruck „Motiv“ in seiner ursprünglichen Bedeutung verwerten.
Motiv heißt uns in künstlerischem Sinne ja eigentlich eine kleinste
Bewegungseinheit. Sie muß, dem natürlichen Gesetz unsrer Körper-
bewegung zufolge, mindestens zwei Glieder (oder Reizelemente') ent-
halten, die durch ein drittes zur Einheit zusammengefaßt werden. Und
dieses Bindeglied ist, genauer beachtet, der eigentliche Träger der
Bewegung, das „Motiv“ im engern Sinne, das sich durch die beiden
Hilfsmittel verwirklicht. In ihm suchen wir die Ursache der Beweg'ung,
also den innern Beweggrund.1) Es verhält sich wie der Bogenschwung
zu dem Säulenpaar, das er verbindet und in Vollzug setzt, oder wie
der Abschwung und Umschwung zwischen dem Paar unsrer Beine,
das vorwärtstreibende Agens der aufsteigenden Dipodie.
Damit sind wir am verwandten Gebiet der Metrik, an das uns
schon die Akzentdynamik erinnern mußte. Hier vermögen wir sozu-
sagen der Entstehung des Motivs aus den einfachsten Versfüßen zu
folgen. Ein Jambus oder ein Trochäus sind eigentlich noch keine Be-
wegungsform, die wir als Motiv ansprechen würden: die beiden Ele-
mente liegen sozusagen koordiniert nebeneinander: erst durch den
Hinzutritt der Betonung zur Quantitätsdifferenz kann etwas Lebendiges
i) Hier liegt auch die befriedigende Erklärung für das poetische Motiv: es muß
sich durch die innere Motivierung als Einheit rechtfertigen. So auch ein mimisches
und ein musikalisches Motiv, nur nach dem Sinnesbereich verschieden. Über das
Motiv im plastischen Kunstwerk vgl. Grundbegriffe d. Kstw. 285. Beiträge zur Ästhetik
der bildenden Künste III, 67 ff. II, 102. 1,32. Unser Verhältniß zu den bildenden
Künsten 63f. 83!. 98.
 
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