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Schmidt, Georg [Bearb.]; Böcklin, Arnold [Ill.]
Arnold Böcklin - Pan — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 85: Stuttgart: Reclam, 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.65323#0038
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erster Linie seine älteste, körpermodellierende Funktion.
Zu diesem Rückgriff auf den vorpleinairistisdien Natu-
ralismus gehört ferner die betont linearperspektivisch-
diagonal gestufte Verkürzung der Schilfrohre von vorne
rechts oben nach hinten links unten. Und von der Ecke
rechts unten führt, über die Sonnenflecken am Boden,
eine nach links hinten ansteigende Gegendiagonale.
Offensichtlich hat Böcklin mit dem zweiten „Pan im
Schilf“ sich gegen die Freilichtmalerei der Jahrhundert-
mitte und für die Wiederaufnahme klassizistischer Dar-
stellungsmittel entschieden. Der zweite „Pan im Schilf“
ist nicht nur ungleich bildhafter als der erste, sondern
auch gegenständlich greifbarer. Der erste ist lyrischer, der
zweite dramatischer. Der Gewinn an rhythmischer Kraft
ist mit einem Verlust an malerischem Reichtum bezahlt.
Wer diesen Entscheid Böcklins bedauert — und er ist von
Vielen bedauert worden —-, der möge bedenken, daß im
Dramatischen Böcklins stärkste künstlerische Begabung
liegt.
Auch im Motivischen bedeutet das Thema des „Pan im
Schilf“ in Böcklins künstlerischer Entwicklung eine ent-
scheidende Wende: Er ist der Prototyp für alle weiteren
einsam vor sich hinflötenden, auf Aggression elegisch ver-
zichtenden Pane und Faune. Einzige Ausnahme der Spät-
zeit: der gewaltig daherbrausende Meerkentaur auf dem
Münchner „Spiel der Wellen“ von 1883.
In seinen künstlerischen Mitteln aber bedeutet der
zweite „Pan im Schilf“ die Absage an den dionysischen
Rausch und eine erste Hinwendung zur apollinischen
Klarheit.
Im August 1858 ist die Familie Böcklin von Hannover
nach München gezogen — völlig mittellos, Arnold und
zwei Kinder typhuskrank, Angela hochschwanger. In
schweren Fiebern hat Böcklin die letzte Hand an den
zweiten „Pan im Schilf“ gelegt (Memoiren, S. 77). Im
März 1859 ist das Bild in München ausgestellt und vom
König von Bayern für die Neue Pinakothek angekauft
worden. Da man glaubte, der Maler sei gestorben, wurde
ein schwarzer Kranz daruntergehängt (Memoiren, S. 83).
Dieser wahrhaft lebensrettende Ankauf, dem bald auch

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