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63 Weltleben.

feiner, mehr im Style neuester Courtoisie gefärbt, bis man den
Reiz des alten Epos völlig ertödtet und die Weitschweifigkeit
und Geschmacklosigkeit scholastischer Prosa überboten hatte.

Neben diesen Wiederholungen kam aber auch eine neue
Gattung auf, der allegorische Roman. Das erste und be-
rühmteste Werk dieser Art, der Roman von der Rose, war
zwar schon im dreizehnten Jahrhundert durch Wilhelm von
Lorris angefangen, erlangte aber erst im vierzehnten nach seiner
Vollendung durch Wilhelm von Meun in und ausserhalb Frank-
reichs ein noch lange wachsendes Ansehen. Seine Verehrer
glaubten alle Geheimnisse herauszudeuten, strenge Moralisten
aber dagegen predigen zu müssen. Der Inhalt des weit ausge-
sponnenen Werkes lässt sich mit wenigen Worten zusammen-
fassen;, es ist die abstracte Darstellung einer Liebesgeschichte.
Die Geliebte, selbst tritt gar nicht handelnd auf, sie ist die Rose,
der passive Gegenstand der Liebe. Dame Oiseuse öffnet den
Garten der Liebe, Amor verwundet den Liebenden, Bel-accueil
führt ihn ein, aber Male-bouche und Dangier, Felonie und
und Bassesse, Haine und Avarice treten ihm in den Weg.
Indessen steht Raison ihm zur Seite, und es gelingt ihm, das
Kastell, in welchem die Rose sich befindet, zu stürmen. Dies die
ganze Erzählung, welche dann mit Anekdoten oft sehr schlüpf-
rigen Inhalts und wieder mit pedantischen Auseinandersetzungen,
zum Theil über die tiefsten Gegenstände, z. B. über die Dreifaltig-
keit, gewürzt und ausgestattet ist. Der grosse Erfolg dieser, uns
so wenig zusagenden Arbeit erklärt sich aus dem Zustande der
Gesellschaft, für die sie berechnet war. Zu sehr mit sich, mit der
Rolle edler Ritterlichkeit, die sie durchführen sollte, beschäftigt,
um sich harmlos dem freien Spiele der Phantasie hinzugeben; zu
wenig in Verstandesbildung vorgeschritten, um von den Gestalten
wirklicher Dichtung die Tugenden, die man besitzen, die Fehler,
die man vermeiden wollte, mit Leichtigkeit zu abstrahiren, war
eine Gattung, welche diese Arbeit erleichterte, indem sie die Be-
griffe, auf die es ankam, nicht bloss gradezu aussprach, sondern
in sinnlicher, dem Gedächtnis« sich leicht einprägender Gestalt
vorführte, grade das was sie brauchten.

Der deutsche Adel war zwar zu derb und einfach, um an
 
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