VI. Kapitel.
Wesen und Herkunft des Stiles.
ir fanden, dass Johann Georg Dürr bereits vor 1750 in Ge-
V V meinschaft mit Joseph Anton Feuchtmayer für die Wallfahrts-
kirche Neubirnau tätig war, dass er mit Feuchtmayer an den
älteren Teilen des Salemer Chorgestühls in den fünfziger Jahren
arbeitete, dann aber, nachdem er noch 1765 mit Feuchtmayer
einen Altar für die Schlosskapelle zu Heiligenberg ausgeführt
hatte, in der Dekoration der grossen Orgel des Salemer Münsters
(während Feuchtmayer in St. Gallen beschäftigt ist) sich un-
verkennbar klassizistischen Tendenzen geneigt zeigt, die 1774
bei der Neugestaltung der Salemer Altarbauten voll zur
Herrschaft gelangen. Bemerkenswert ist es auch, dass der-
selbe Abt von Salem, Anselm IL, der die Sommerresidenz
und die Wallfahrtskirche Neubirnau in ausgesprochenem
Rokokocharakter erbauen liess und der dem Rokoko in den
ausgedehnten Klosteranlagen von Salem eine Stätte geboten
hatte, nunmehr für die Innenausschmückung des Münsters dem
antikisierenden Stil Eingang verschaffte. Vielleicht bewog ihn der
Ehrgeiz, gegenüber den Bauten anderer Klöster, wie St. Gallen,
Ottobeuren und Zwiefalten, den „neuen Stil" als Trumpf aus-
zuspielen. Oder hatte er das Gefühl, dass der Rokokostil in
der strengen gotischen Basilika am unrechten Platze war?
Die Möglichkeit, dass Dürr vor 1774 Anregungen erhielt,
die ihn zu einem so entschiedenen Stilwandel und zur gänzlichen
Abkehr vom Rokoko bestimmten, ist wahrscheinlich.
Der klassizistische Stil hatte in jener Zeit bereits einen
bemerkenswerten Vorstoss unternommen. Mehrere Jahre, bevor
die Salemer Alabasterdekoration in Angriff genommen wurde,
Wesen und Herkunft des Stiles.
ir fanden, dass Johann Georg Dürr bereits vor 1750 in Ge-
V V meinschaft mit Joseph Anton Feuchtmayer für die Wallfahrts-
kirche Neubirnau tätig war, dass er mit Feuchtmayer an den
älteren Teilen des Salemer Chorgestühls in den fünfziger Jahren
arbeitete, dann aber, nachdem er noch 1765 mit Feuchtmayer
einen Altar für die Schlosskapelle zu Heiligenberg ausgeführt
hatte, in der Dekoration der grossen Orgel des Salemer Münsters
(während Feuchtmayer in St. Gallen beschäftigt ist) sich un-
verkennbar klassizistischen Tendenzen geneigt zeigt, die 1774
bei der Neugestaltung der Salemer Altarbauten voll zur
Herrschaft gelangen. Bemerkenswert ist es auch, dass der-
selbe Abt von Salem, Anselm IL, der die Sommerresidenz
und die Wallfahrtskirche Neubirnau in ausgesprochenem
Rokokocharakter erbauen liess und der dem Rokoko in den
ausgedehnten Klosteranlagen von Salem eine Stätte geboten
hatte, nunmehr für die Innenausschmückung des Münsters dem
antikisierenden Stil Eingang verschaffte. Vielleicht bewog ihn der
Ehrgeiz, gegenüber den Bauten anderer Klöster, wie St. Gallen,
Ottobeuren und Zwiefalten, den „neuen Stil" als Trumpf aus-
zuspielen. Oder hatte er das Gefühl, dass der Rokokostil in
der strengen gotischen Basilika am unrechten Platze war?
Die Möglichkeit, dass Dürr vor 1774 Anregungen erhielt,
die ihn zu einem so entschiedenen Stilwandel und zur gänzlichen
Abkehr vom Rokoko bestimmten, ist wahrscheinlich.
Der klassizistische Stil hatte in jener Zeit bereits einen
bemerkenswerten Vorstoss unternommen. Mehrere Jahre, bevor
die Salemer Alabasterdekoration in Angriff genommen wurde,