70 Befriedigung des Kunstbedürfnisses.
ihnen der Götzendienst verkörpert erschien, eine entschie-
dene Abneigung gezeigt hätten, ist ein falscher Schluss von
der Minorität einzelner Kirchenlehrer auf die Gesammtheit
der Gläubigen. Die chiliastischen Ideen freilich, welche
die Kirche in dem ersten und dem zweiten Jahrhundert
ganz beherrschten j), mussten, indem sie über Alles den
Schatten des Provisorischen warfen, den Gedanken monu-
mentaler Schöpfungen nothwendigerweise erschweren und
die Hoffnung, aus dem reichen Schatze des neuen Geistes-
lebens die Kräfte und Mittel für eine eigene Kunst ge-
winnen zu können, zurückdrängen. Aber das Hemmniss
eines abstracten Dogmas erlag ebenso wie der Einfluss des
bilderfeindlichen Judenthums dem realen Bedürfnisse einer
Majorität, die, aus der Mitte einer kunstliebenden Bevöl-
kerung gesammelt, auf eine ideale Gestaltung und Ver-
schönerung des Daseins durch die Werke der Kunst in
ihrem neuen Geistesleben nicht verzichten zu sollen glaubte.
Diesem Drange Genüge zu leisten, boten sich offenbar
zwei Wege, die beide betreten wurden. Das eine Verfahren
gründete sich auf einen principiellen Bruch mit der alten
Kunst; seine Aufgabe war es, in der neuen Religion die
noch verborgenen Quellen eines eigenen, selbständigen
Kunstlebens, welches in Idee und Gestaltung etwas ganz
Neues setze, zu eröffnen. Dass dieser Gedanke sich nur
in beschränktem Maasse verwirklichen konnte, bedingten
die unwandelbaren Gesetze geschichtlicher Entwicklung,
die eine bestimmte Periode nie von dem Zusammenhänge
mit der ihr vorhergehenden dispensiren. „Un art ne s'im-
provise pas" ist ein berühmt gewordenes Wort Raoul-
Rochette's. So musste dieses Verfahren nothgedrungen zu
den alten Formen, die es theoretisch verworfen, zurück-
greifen, aber das Neue, das Epochemachende, das es setzte,
war, dass der christliche Gedanke diese herübergenomme-
nen Hülfsmittel um sich als den bestimmenden Mittelpunkt
9 Ich verweise nur auf Barnabas, Hermae Pastor, Irenaeus, Ter-
tullian.
ihnen der Götzendienst verkörpert erschien, eine entschie-
dene Abneigung gezeigt hätten, ist ein falscher Schluss von
der Minorität einzelner Kirchenlehrer auf die Gesammtheit
der Gläubigen. Die chiliastischen Ideen freilich, welche
die Kirche in dem ersten und dem zweiten Jahrhundert
ganz beherrschten j), mussten, indem sie über Alles den
Schatten des Provisorischen warfen, den Gedanken monu-
mentaler Schöpfungen nothwendigerweise erschweren und
die Hoffnung, aus dem reichen Schatze des neuen Geistes-
lebens die Kräfte und Mittel für eine eigene Kunst ge-
winnen zu können, zurückdrängen. Aber das Hemmniss
eines abstracten Dogmas erlag ebenso wie der Einfluss des
bilderfeindlichen Judenthums dem realen Bedürfnisse einer
Majorität, die, aus der Mitte einer kunstliebenden Bevöl-
kerung gesammelt, auf eine ideale Gestaltung und Ver-
schönerung des Daseins durch die Werke der Kunst in
ihrem neuen Geistesleben nicht verzichten zu sollen glaubte.
Diesem Drange Genüge zu leisten, boten sich offenbar
zwei Wege, die beide betreten wurden. Das eine Verfahren
gründete sich auf einen principiellen Bruch mit der alten
Kunst; seine Aufgabe war es, in der neuen Religion die
noch verborgenen Quellen eines eigenen, selbständigen
Kunstlebens, welches in Idee und Gestaltung etwas ganz
Neues setze, zu eröffnen. Dass dieser Gedanke sich nur
in beschränktem Maasse verwirklichen konnte, bedingten
die unwandelbaren Gesetze geschichtlicher Entwicklung,
die eine bestimmte Periode nie von dem Zusammenhänge
mit der ihr vorhergehenden dispensiren. „Un art ne s'im-
provise pas" ist ein berühmt gewordenes Wort Raoul-
Rochette's. So musste dieses Verfahren nothgedrungen zu
den alten Formen, die es theoretisch verworfen, zurück-
greifen, aber das Neue, das Epochemachende, das es setzte,
war, dass der christliche Gedanke diese herübergenomme-
nen Hülfsmittel um sich als den bestimmenden Mittelpunkt
9 Ich verweise nur auf Barnabas, Hermae Pastor, Irenaeus, Ter-
tullian.