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Verkehrsleben zwischen Heiden und Christen.
Staatsfesten, schwuren beim Herkules und stellten Schuld-
scheine mit heidnischen Eidesformeln aus; das Gewissen
des christlichen Schulmeisters war weit genug, seine heid-
nischen Schüler in der Kenntniss der Göttergenealogieen
zu fördern, das Fest der Minerva zu besuchen und heid-
nischen Neujahrsgeschenken nachzujagen 9. Aber nicht
nur die in ihrer äusseren Existenz auf die Heiden ange-
wiesene und von ihnen abhängige christliche Bevölkerung
Carthago's verkehrte in dieser Weise mit den Glaubens-
gegnern; auch vornehme Christen, die hohe Staatsämter
bekleideten, scheuten sich nicht, im vollen Schmucke der
Insignien ihrer. Würde die an ihr Amt geknüpften Cult-
handlungen zu vollziehen -), und den angesehenen christ-
lichen Damen wird Kostbarkeit der Schmucksachen, Ele-
ganz der Kleidung, der Gebrauch der Schminke, das
Tragen der Chignons bitter zum Vorwurfe gemacht 3).
Es liegt nun durchaus kein Grund vor, in dieser Art
des Verkehrs mit dem Heidenthume etwas der cartha-
gischen Gemeinde Eigenartiges, sonst Beispielloses zu
sehen; ohne Zweifel boten die socialen Zustände anderer
Gemeinden der ersten Jahrhunderte mehr als einmal dasselbe
Bild. Für die Kunstentwicklung innerhalb der Kirche
mussten dieselben natürlich von grosser Bedeutung werden.
Die Kunst einer Religionsgemeinschaft, die über Künstler
verfügt, die Tag aus Tag ein in heidnischen Werkstätten
nach heidnischen Modellen arbeiten, deren vornehme Glieder
ferner den Unterschied zwischen der alten und der neuen
Religion so wenig scharf zu fassen sich gewöhnt haben,
dass sie innerhalb der letzteren die Formen der ersteren in
weitgehender — man darf mit Recht sagen, unerlaubter
Weise ausüben, kann nur ein treuer Spiegel dieses socialen
Synkretismus sein: die Stufe blosser Nachahmung ist für
9 Tertull., de idol. c. 11-14; 15; 20; 23.
-) Ebend. c. 17; 18.
3) Tert., de cultu fern, lib, I ce. 2, 3, 8; lib. II cc. 6, 7, 11
lib. I c. 8.
Verkehrsleben zwischen Heiden und Christen.
Staatsfesten, schwuren beim Herkules und stellten Schuld-
scheine mit heidnischen Eidesformeln aus; das Gewissen
des christlichen Schulmeisters war weit genug, seine heid-
nischen Schüler in der Kenntniss der Göttergenealogieen
zu fördern, das Fest der Minerva zu besuchen und heid-
nischen Neujahrsgeschenken nachzujagen 9. Aber nicht
nur die in ihrer äusseren Existenz auf die Heiden ange-
wiesene und von ihnen abhängige christliche Bevölkerung
Carthago's verkehrte in dieser Weise mit den Glaubens-
gegnern; auch vornehme Christen, die hohe Staatsämter
bekleideten, scheuten sich nicht, im vollen Schmucke der
Insignien ihrer. Würde die an ihr Amt geknüpften Cult-
handlungen zu vollziehen -), und den angesehenen christ-
lichen Damen wird Kostbarkeit der Schmucksachen, Ele-
ganz der Kleidung, der Gebrauch der Schminke, das
Tragen der Chignons bitter zum Vorwurfe gemacht 3).
Es liegt nun durchaus kein Grund vor, in dieser Art
des Verkehrs mit dem Heidenthume etwas der cartha-
gischen Gemeinde Eigenartiges, sonst Beispielloses zu
sehen; ohne Zweifel boten die socialen Zustände anderer
Gemeinden der ersten Jahrhunderte mehr als einmal dasselbe
Bild. Für die Kunstentwicklung innerhalb der Kirche
mussten dieselben natürlich von grosser Bedeutung werden.
Die Kunst einer Religionsgemeinschaft, die über Künstler
verfügt, die Tag aus Tag ein in heidnischen Werkstätten
nach heidnischen Modellen arbeiten, deren vornehme Glieder
ferner den Unterschied zwischen der alten und der neuen
Religion so wenig scharf zu fassen sich gewöhnt haben,
dass sie innerhalb der letzteren die Formen der ersteren in
weitgehender — man darf mit Recht sagen, unerlaubter
Weise ausüben, kann nur ein treuer Spiegel dieses socialen
Synkretismus sein: die Stufe blosser Nachahmung ist für
9 Tertull., de idol. c. 11-14; 15; 20; 23.
-) Ebend. c. 17; 18.
3) Tert., de cultu fern, lib, I ce. 2, 3, 8; lib. II cc. 6, 7, 11
lib. I c. 8.