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Kunsthistorische Bilderbogen: für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und höheren Töchterschulen zusammengestellt: Textbuch zu Seemann's kunsthistorischen Bilderbogen — Leipzig, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.1298#0160
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I. NICCOLO PISANO UND GIOTTO.

Die hiftorifche Betrachtung fondert der Deutlichkeit wegen die
einzelnen Weltalter fcharf und beftimmt ab. In Wirklichkeit fließen
aber die Perioden der menfchlichen Entwickelung meiftens ganz
unmerklich in einander, fo daß erft das nachträglich prüfende Auge
die trennenden Abfchnitte bemerkt. Auch auf dem Gebiete der
Kunft vermitteln zahlreiche Uebergänge den Stilwechfel und laffen
die neue Weife nur fchrittweife aus der alten hervorgehen oder
neben der letzteren auftreten. In anderer Art hängt aber die mittel-
alterliche Kunft in Deutfchland mit der neueren Kunft zufammen,
als in Italien. Dort werden zahlreiche gothifche Elemente in die
Kunft, welche den Namen deutfche Renaiflance führt, herüberge-
nommen, dagegen zeigen fich in Italien fchon im Mittelalter mannig-
fache Züge der fpäteren, als italienifche Renaiflance gepriefenen
Kunft. Die Erklärung diefes Unterfchiedes liefern allgemeine hifto-
rifche Thatfachen. Für Italien genügt der Hinweis, daß bereits am
Ende der Hohenftaufenzeit der Grund zu den politifchen Einrich-
tungen und zu der nationalen Bildung gelegt wurde, welche feit-
dem eine ftetige Entwickelung erfuhren. Die Städte kamen in die
Höhe, der praktifche Staatsfinn erftarkte, der municipale Stolz regte
',ch, die ftarken Perfönlichkeiten gewannen Macht und Anfehen,
das Bild der römifchen Vorzeit flieg immer deutlicher vor den
^ugen der Zeitgenoffen auf, ihre Phantafie anregend und insbefon-
dere auch bei künftlerifchen Verfuchen als Mufter benützt.

Bis zum zwölften Jahrhundert flehen Plaftik und Malerei in
Italien auf der denkbar niedrigften Stufe; noch im zwölften Jahr-
hundert, obfchon jetzt eine regere Betriebsamkeit und ein kräftiger
Portfehritt bemerkbar wird, überragt Italien nicht den Norden. Auf
dem Bogen No. 108 find mannigfache Proben italienifcher Sculptur
"es 12. Jahrhunderts zufammengeftellt. Sie zeigen zunächft, daß
■teine Provinz der anderen erheblich vorangeht. Oberitalien befitzt
c'benfo gut feine von Ruhmesfehnfucht erfüllten, auf die Bewahrung
 
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