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Seidel, Friedrich; Schmidt, Franz
Arbeitschule (Band 1 : Das Netzzeichnen ; Abth. 1): Geradlinige Figuren: Für Kinder von 5 bis 9 Jahren — Weimar, 1868

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https://doi.org/10.11588/diglit.43163#0007
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„Man soll den Kindern Massen, die Gemälde mit der Hand
nachzumalen, so sie Lust Lazu haben. Ja, so sie keine haben,
muß man ihnen Lust dazu machen. Erstlich darum, damit sie
sich gewöhnen, ein em D in g rech t nach z us in n e n n nd
darauf scharfe Achtung zu geben; sodann nm das Maß
und Vergleichung derselben; endlich u ni die Hände
geübt und fertig zn machen, welches zu vielen
Dingen gut ist."
Joh. Amos Comenius, 1592.
^as Zeichnen ist eine schöne, nützliche Kunst nnd für Kinder in
Haus und Schule eine angenehme Beschäftigung, weil sie durch das-
selbe Gelegenheit haben, darzustellen, selbstschöpferisch und
Schöpfer in ihrem Kreise zn sein. Es ist nämlich ein nicht genug
zu würdigendes Verdienst Fröbels, in seinen Schriften gezeigt
zu haben, wie das Kind nicht bloß aufnehmendes und durch das
Wort wieder darstellendes Wesen ist, sondern darstellend auch
in seiner Arbeit und in seinem Spiele. Auf diese Bemerkung
gründen sich seine Beschäftigungsmittel, so wie das von ihm
ausgearbeitete Zeichnen. Und weil er auf den Gebieteu der
Natur, Kunst und Wissenschaft überall das Gesetz des Gegen-
satzes und der Vermittlun g angewendet fand, so trug er dieses
auch in den Gang seines Zeichnens über und arbeitete es da-
nach aus.
So sehr wir nun wünschen, daß alle Lehrer und Freunde
des Erziehungswerkes sich mit den Fröbel'scheu Mitteln bekannt
machen und zum Segen der Menschheit immer mehr Kinder-
gärten entstehen möchten, in welchen sie getragen und beseelt von
Fröbel's Geiste zur allseitigen Anwendung gelangen, so mußten
wir doch bei der vorliegenden Arbeit von dem von ihm ein-
geschlagenen Wege absehen.
Die neuere Pädagogik erkennt nämlich immer mehr die
Wichtigkeit des ersten Schulunterrichts für die folgenden Schul-
stufen an. Alte, erfahrene Lehrer sagen darum geradezu: „je
vollkommener und besser vorbereitet wir unsere Schüler aus der
Elementarklafse erhalten, desto bessere Schüler haben wir in der
Mittel- und Oberklasse dann selbst." Man sucht darum nach
einem sichern Unterbau, um darauf das übrige Gebäude des
Schulunterrichts aufzurichten. Dafür zengen zum Theil die
mannichfaltigen Lese-, Rechen-, Schreibmethoden, von denen die
bessern wenigstens das Gepräge des Organischen an sich tragen,
und als das Wesen eines solchen verbesserten Elementarunterrichts
nimmt man eines Theils die Lebendigkeit und Lernfreudig-
keit der heutigen Schüler an. Und nicht mit Unrecht; denn wo
Leben ist, da wird auch Leben wieder erzeugt, und eine Schule,
in welcher neben einer ganz musterhaften Ordnung und an das
Militärische anstreifenden Disziplin nicht auch wieder fröhliche
Munterkeit herrscht, die manchmal selbst auszuarten und mit den
Schülern über Tisch und Bänke zn springen droht, der fehlt
das Bewußtsein ihrer selbst nnd sie steht in dem, was sie ist und
leistet, andern nach.
So verständlich am Ende solches ist, weil in der umgeben-
den Natur ebenfalls alles lebt und webt und ohne dieses Leben
nichts wächst und gedeiht — so scheint es vielen Schulen, na-

mentlich denen auf dem Lande*) an einem Mittel, solches stetig
zn wecken und zu pflegen, zu fehlen. Ein solches müßte neben
der allgemeinen Wichtigkeit für das praktische Leben namentlich
die Eigenschaft noch besitzen, daß es mit der geringsten Ueber-
windung des Stoffes und bei der kleinsten Kraftäußerung des
Kindes darstellend wäre. Und ein solches Mittel wird, wenn
man auch vom Stäbchenlegen, Falten u. s. w. in der Elementar-
klasse recht bald Gebrauch machen sollte, unser Zeichnen sein.
Denn nicht bloß daß es dem Geforderten vollkommen und wahr-
haft entspricht, es enthält auch außerdem auf der allerersten Stufe
schon eine Menge Bildungsmaterial für Form, Färb e (S. später)
Zahl, Entfernung, Richtung u. s. w. Und da das Kind
gerade in dem Alter, in welchem es in die Schule ausgenommen
wird, vorausgesetzt, Laß dieses nicht zn bald geschieht, schon in
ein bestimmtes Verhältniß zu seiner Umgebung gelangt ist, so
sind es besonders die Lebensformen, mit denen es sich ver-
wachsen und als Gliedganzes fühlt, und diese sind es daher ganz
besonders, welche wir bei Ausarbeitung unserer Stufe
zn berücksichtigen hatten. Wer dem Entwickelungsgang des
Kindes stetig nachgeht, findet dicß bald. So malt das Kind gern
ein Häuschen, aber gleich macht es auch uoch einen Strich in
die Mitte der Thür und sagt: das fbin ich) ist Max, der geht
jetzt hinein. Nicht bloß also, daß das Kind nur schaffen will
und daß ihm dazu das eine mehr als das andere entspricht, auch
seiue eigene Individualität trägt es mit hinein — dazu sind aber
die Lebensformen wie gemacht nnd sie haben daher in nnserm
Hefte reiche Anwendung gefunden. Nebenher benutzten wir auch
Schönheitsformen u. a., diese aber mehr um Lücken, die sich
in der Stufenfolge zeigten, auszufüllen und weil alles Regel-
mäßige und Schöne anch einen wohlthätigen Eindruck auf die
Kindesseele ausübt und zurückläßt. **).
Den Ausgangspunkt unserer Figuren bildet das Quadrat,
als der Ausdruck der Stirufläche des Würfels, weil die Würfel-
form iu vielen Gewerken, so wie namentlich im Baufach und
der Säulenordnung die Grundform bildet***), und weil über-
haupt das Quadrat uns als die eins«chst-natürliche Form
erschien, welche zugleich anch noch etwas Anderes (Buch, Deckel,
Fensterscheibe n. s. w.) darstellen konnte. Durch Zerlegung fan-
den wir das rechtwinkliche Dreieck fTaf. 2j und aus den dadurch
gewonnenen Geraden und Schrägen ließen sich alle unsere übri-
gen Figuren darstellen.
Was die auf den beiden ersten Tafeln beigegebenen Vor-

*) Auf dem Lande gehen die Elementarschüler täglich vier bis fünf Stun-
den in die Schule. Von dieser Zeit werden sie nur ein bis ein und eine halbe
Stunde von dem Lehrer selbst in Anspruch genommen und beschäftigt, die übrige
Zeit (also drei bis vier Stunden) müssen sie nun schreiben und schreiben. Ist
dieses nicht eine Qual für die Kinder und heißt das nicht den Thätigkeitstrieb
derselben eher ersticken als ihn wecken?!
*) Auch dürfen die Lebensformen vielfach mehr den Knaben, die Schön-
heitsformen dagegen den Mädchen entsprechen.
**) Die Grazien wurden zuerst in einem alten Tempel in Griechenland in
der Gestalt von drei vollkommenen Würfeln verehrt. (Winkelmann in Frö-
bel's Wochenschrift.)

Übungen anlangt, so lassen sie sich vermehren, wie wir selbst
zeigen werden. Sie dienen dazu, ganz schwachen Schülern eine
möglichst stufenmäßige Handübung zu den ersten Formen hin zu
geben. Wenn man nach einem Grunde fragen sollte, warum
wir bei diesen Hebungen gerade bis zu fünffacher Länge ge-
schritten sind, so diene als Antwort die „Füufzahl der Finger
an der Hand." Doch wird eine besondere Erklärung darüber
auch nicht nöthig sein. Daß es gut ist, wenn sich an all' die
nachfolgenden Uebungen das bewußtmachende, im Kinde zeu-
gende Wort des Lehrers anschließt, versteht sich von selbst und
wird das Wie? leicht zu finden sein. — Wir wenden uns nun
den praktischen Erörterungen zu.
Auf der untersten Stufe wird das Zeichnen durch einige
andere Beschäftigungen erst vorbereitet. Als erstes Mittel da-
zu eignen sich Stallchen von der Größe der Zündhölzchen. Mit
diesen lassen sich alle unsere Formen auf dem Tische legen. Dann
werden diese Stäbchen gespitzt nnd mittelst gequellter Erbsen
oder Thon verbunden, so daß außer den vorher durch bloßes
Legen in der Ebene entstanden planen Figuren nun auch pla-
stische Gestalten erscheinen. An diesen beiden Nebnngen ent-
wickeln sich vorzugsweise die Begriffe von Größe, Zahl und
Richtung (Axendrehung). Zur noch fehlenden Kenntniß der Far-
ben verhilft das Aufkleben farbiger Papierstreisen auf weißen
Grund und zwar ganz in der Weise, wie man das Stäbchen-
legen angewandt hat. — Diese drei Beschäftigungen werden be-
reits im Kind ergart en getrieben, können aber auch, wenigstens
die mit Stäbchen, recht gnt nnd mit großem Nutzen in die Ele-
mentarklasse übergehen, namentlich da, wo Kindergärten und
tüchtige Kleinkinderschulen noch fehlen.
Die zweite Stufe beginnt mit dem eigentlichen Zeichnen
— zunächst auf die Schiefertafel. Diese wird mittelst eines
scharfen Nagels mit einem gravirten Liniennetze von Zoll
Weite — bei kleinern Kindern etwas weiter — bezogen, so Laß
der spitze Stift in den entstandenen Furchen sicher hin- und her-
gleitet. *) Die Weite des Netzes ist keineswegs gleichgiltig;
denn sind die Entfernungen zu klein, so werden alle durch sie
bestimmten Darstellungen zn winzig; sind sie zu groß, so sind sie
für die Vorstellungskraft des kleinen Schülers zu gedehnt. — Für
Kindergärten und Schulen empfiehlt sich anch eine schwarze
Wandtafel mit rothen Netzlinien von 2 Zoll Weite. Eine
solche Tafel ist übrigens für andere Unterrichtsfächer noch wich-
tig, z. B. Rechnen und Schreiben.
Das Quadrat, von welchem, wie schon gesagt, ausgegangen
wird, besteht aus vier gleichlangen Linien, je zwei in gleicher
Richtung: zwei senkrechten und zwei wagerechten. Die Linien

*) Schon Pestalozzi erkannte das Netz als Anhalt für die ersten Zeichner
für eine Nothwendigkeit, indem sonst die Versuche der Kleinen ohne jenes Hilfs-
mittel zu formlos, unschön und entmuthigend ausfalleu. Er ließ die Zöglinge
über die Vorlage mit Bleistift ein Netz entwerfen und ein ähnliches auf die
Schiefertafel. (S. „Gruner Briefe aus Burgdorf" 306.) Dieses Netz
war jedoch kein stehendes, es wurde stets wieder mit verwischt. Erst Frödel
erfand das stereotype Netz. Mehr darüber: Kindergarten und Elementarklasse
Weimar H. Böhlau. 1. Jahrg. Nr. 2 und 3.
 
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