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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.1299#0113
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68 Drittes Hauptstück.

ihm herabhangenden Blüthen und Früchte; und diese Dinge
sind es einzig und allein, welche (ausser den dem Webstuhl ent-
nommenen und an die Idee eines Urzeltes geknüpften Zopfgeflech-
ten, Labyrinthen und ähnlichen Ornamenten] auf jenen Stfoteren-
decken seit undenklichen Zeiten die typischen Embleme bilden.
Es bedarf hier nur flüchtiger Erinnerung an die Steinplafonds der
aegyptischen Tempelhallen mit den Sternen, den befittichten Son-
nen und den breitgefie'derten Adlern, die in dem allgemeinen
Azurgrunde schweben, an die Sternendecke des hellenischen Ura-
niskos, an die Rqsettenkuppel des Pantheon mit ihrem jetzt ver-
schwundenen Bronzeschmuck, oder endlich an die Holzdecken der
altchristlichen Basiliken, an die romanischen Plafonds und Ge-
wölbe, an die gothischen Kreuzgewölbe der Ste Chapelle, an As-
sisi,l an den Dom von Siena und Orvieto, an die Certosa zu
Pavia, die schon den Uebergang zur Renaissance bildet, welche
letztere dieses uralte Motiv erst mit neuer Frische belebt, dann
aber in freiester Behandlung mit weniger strengen (den nunmehr
emancipirten darstellenden Künsten bequemer sich fügenden) Mo-
tiven vermengt, die theils schon altchristliche Ueberlieferang, theils
den reichen und phantastischen Decken der römischen Bäder^ die
damals, im 16. Jahrhunderte, zum ersten Male wieder an das Tages-
licht gebracht wurden, entnommen sind. Die gemalten Sterne auf
den unteren Flächen der kleinen Deckplatten (Kalymmatien), womit
die Opäen (Durchbrechungen) der Plafondplatten zwischen den Bal-
ken zugedeckt wurden, sind, gleich wie die später an ihre Stelle
tretenden, plastisch ausgeführten Akanthustulpen2 oder sog. Rosetten
nach allen Seiten gerichtet, und bieten in dieser Beziehung keine
Schwierigkeiten; die Adler und geflügelten Sonnen der Aegytischen
Plafonds wenden ihren Flug dem Eintretenden entgegen; an ihre
Stelle treten in christlicher Zeit die Seraphim, Köpfe oder ganze
Engelsfiguren, auch Ringe mit vierfachen Flügelpaaren, die sich nach
allen vier Hauptrichtungen durcheinanderkreuzen, offenbar erfunden,

1 &iehe Farbendr. Tab. VUX.

s Diess sind die in den beiden berühmten Bauinschriften an der Akropolis
zu Athen (von denen die zuletztgefundene fälschlich gleichfalls auf den Po-
liastempel bezogen worden ist, wie ich in einem Aufsatze im Kunstblatte
Nr. 42 ff. des Jahrganges 1855 dargelegt habe) wiederholt vorkommenden v.uk%ai
oder vielmehr %&\v.ui, die man eben so fälschlich auf die Oven oder Eier-
stäbe, womit die Kymatien der jonischen Ordnung so reichlich ausgestattet
sind, bezogen hat.
 
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