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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.1299#0465
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420 Viertes Hauptstück.

dreifach gegliederten Gebälkes steht, welches sie tragen. Aller-
dings erscheint an einigen der protodorischen Gräber das Gebälk
noch sehr primitiv, wie an den Gizehgräbern, als Balkendecken-
vorsprung; andere Darstellungen solcher Gräber deuten dagegen
auf einen Architrav, mit Platte, Tropfenbehang und darüber
befindlichem Friese, hin; die Bekrönung scheint zu fehlen und
war vielleicht schon in Form der späteren Hohlkehle.

Aehnliche Ursachen konnten auch auf anderer Stelle ganz
ähnliche Wirkungen hervorbringen; ein dem pharaonischen in
gewissen Grundsätzen verwandtes staatliches Prinzip, das sich
in Hellas erhob und mit richtigem politischem Takte sofort sei-
nen Institutionen in grossartigem Massstabe baulieh monumen-
talen Ausdruck gab, konnte von reicheren Formen, die gleich-
sam das Gemeingut aller Kulturvölker der antiken Welt in frühe-
sten Zeiten waren und sich, ähnlich wie in dem alten Reiche
Aegyptens und in Asien, auch in dem alten Hellas vorfanden,
auf einfachere verfallen und so die Grundzüge des dorischen
Stiles feststellen, ohne dieselben von den memphitischen Vorbil-
dern zu entnehmen. Indessen thut, wenn letzteres der Fall ge-
wesen ist, diess der Originalität der dorischen Hellenen nicht
den mindesten Abbruch, in Betracht dessen, was sie aus diesem
angeblich entlehnten Motive zu machen wussten.

Die Mitte zwischen dem sogenannten protodorischen Schafte,
dessen Kannelürenschmuck seinen augenbefriedigenden Beiz da-
her entnimmt weil • er gleichsam der dynamischen Funktion der
Säule zum Ausdrucke dient, weil ihre Straffheit und koncentrirte
Widerstandskraft durch ihn anschaulich wird, und der Säule
mit dem Kelchkapitäle, bei.der das Strukturschema nichts mit
der schmückenden Bekleidung gemein hat, hält die Säule mit
dem Lotoskelchkapitäle. Bei ihr ist der unsichtbare, den Aba-
kus tragende, Strukttirkern gleichfalls, wie bei der Kelchsäule,
von Rohrstämmen umkleidet, die, mit naturgetreuer Entasis,
rings um den Fuss des Strukturkernes wie aus gemein-
samem Petalon hervorwachsen, oben unter der Knospenkronc
durch Riemen um diesen befestigt sind; ein dem gewöhnlichen
Kopfputze der ägyptischen Damen abgeborgtes ornamentales
Motiv, nämlich Lotosblumen, die in die Riemen eingebunden
scheinen, legen sich in die Zwischenräume der Lotoskelche des
Kapitales, um dieses zu beleben und zugleich als Haupt zu
 
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