Textile Kunst. Hellas. Kleinasien. 437
! dynamisches Prinzip das nur bei der Hohlkörperkonstruktion
steine volle Berechtigung hat. Doch wird sich zeigen wie das
zum vollen Bewusstsein gelangte Hellenenthum bei seinem Stre-
ben nach der absoluten formalen Schöne diesen struktiven Ge-
danken nicht realistisch sondern in höherem Sinne fasste.
Nach Vitruv hätten die dureh die Dorier verdrängten helleni-
schen Kolonisten Kleinasiens ihren Bundestempel des panionischen
Apollon in Ermangelung eines eigenen Baustils nach dem Vor-
bild des von Dorus erbauten Tempels der Hera zu Argos in dem
dorischen Stile, aber nach leichteren Verhältnissen, ausgeführt, erst
nachher hätten sie sich die ionische Weise angeeignet; demnach
wäre vielleicht der Tempel von Assos aus jener frühen Zeit der grie-
chischen Auswanderung. Doch ist Vitruv eben kein Gewährsmann
in derartigen Fragen, und ausserdem waren in jenem Theile Klein-
asiens wo der Tempel von Assos stand mehrere dorische Kolo-
nieen angesiedelt, die noch in späteren Zeiten an ihrer dorischen
Stammsitte festhalten mochten. Wer bürgt endlich dafür ob
nicht grade dieser Tempel, an dem sich das Konstruktive und
Bildnerische so chaotisch vermischen, ein acht asiatisches Werk
sei? — Mischlinge zwischen den später sogenannten dorischen
und ionischen Stilen, ausserdem bereichert mit barbarischen Ele-
menten , die die gereinigte hellenische Kunst abwarf, finden sich
ausser diesem Beispiele in Fülle, und zwar nicht aus später Ver-
fallzeit, sondern solche die zum Theil erweislich zu den aller-
ältesten gehören an denen überhaupt die Elemente griechischer
Baukunst vorkommen. Sie sind wohl geeignet, unsern erlernten
Schulbegriff von der Genesis der griechischen Ordnungen zu ver-
wirren. — Wer hat z. B- den Felsenthurm im Kidronthal bei
Jerusalem gebaut, der seit ältester Ueberlieferung das Grab des
Absalom heisst? — Wir wissen aus dem zweiten Buch Samuelis,
und Josephus bestätigt es, dass Absalom, der Sohn Davids zwei
Stadien von der Stadt, im Kidronthale, sich bei seinen Lebzeiten
ein Mal errichten Hess,1 aber nichts von einem so bedeutenden
Werke das in der Zeit der Diadochen oder der Bömer entstan-
den wäre. An ihm, dem somit wahrscheinlich ältesten aufrechten
Monumente nächst den ägyptischen, mischt sich der dorische
Architrav und der Triglyphenfries mit ionischem Säulenwerk,
und assyrisch-ägyptische Hohlkehlenbekrönung mit dem dorischen
1 1 Sam. 2, 18. Joseph. A. J. VII. 10. 3.
! dynamisches Prinzip das nur bei der Hohlkörperkonstruktion
steine volle Berechtigung hat. Doch wird sich zeigen wie das
zum vollen Bewusstsein gelangte Hellenenthum bei seinem Stre-
ben nach der absoluten formalen Schöne diesen struktiven Ge-
danken nicht realistisch sondern in höherem Sinne fasste.
Nach Vitruv hätten die dureh die Dorier verdrängten helleni-
schen Kolonisten Kleinasiens ihren Bundestempel des panionischen
Apollon in Ermangelung eines eigenen Baustils nach dem Vor-
bild des von Dorus erbauten Tempels der Hera zu Argos in dem
dorischen Stile, aber nach leichteren Verhältnissen, ausgeführt, erst
nachher hätten sie sich die ionische Weise angeeignet; demnach
wäre vielleicht der Tempel von Assos aus jener frühen Zeit der grie-
chischen Auswanderung. Doch ist Vitruv eben kein Gewährsmann
in derartigen Fragen, und ausserdem waren in jenem Theile Klein-
asiens wo der Tempel von Assos stand mehrere dorische Kolo-
nieen angesiedelt, die noch in späteren Zeiten an ihrer dorischen
Stammsitte festhalten mochten. Wer bürgt endlich dafür ob
nicht grade dieser Tempel, an dem sich das Konstruktive und
Bildnerische so chaotisch vermischen, ein acht asiatisches Werk
sei? — Mischlinge zwischen den später sogenannten dorischen
und ionischen Stilen, ausserdem bereichert mit barbarischen Ele-
menten , die die gereinigte hellenische Kunst abwarf, finden sich
ausser diesem Beispiele in Fülle, und zwar nicht aus später Ver-
fallzeit, sondern solche die zum Theil erweislich zu den aller-
ältesten gehören an denen überhaupt die Elemente griechischer
Baukunst vorkommen. Sie sind wohl geeignet, unsern erlernten
Schulbegriff von der Genesis der griechischen Ordnungen zu ver-
wirren. — Wer hat z. B- den Felsenthurm im Kidronthal bei
Jerusalem gebaut, der seit ältester Ueberlieferung das Grab des
Absalom heisst? — Wir wissen aus dem zweiten Buch Samuelis,
und Josephus bestätigt es, dass Absalom, der Sohn Davids zwei
Stadien von der Stadt, im Kidronthale, sich bei seinen Lebzeiten
ein Mal errichten Hess,1 aber nichts von einem so bedeutenden
Werke das in der Zeit der Diadochen oder der Bömer entstan-
den wäre. An ihm, dem somit wahrscheinlich ältesten aufrechten
Monumente nächst den ägyptischen, mischt sich der dorische
Architrav und der Triglyphenfries mit ionischem Säulenwerk,
und assyrisch-ägyptische Hohlkehlenbekrönung mit dem dorischen
1 1 Sam. 2, 18. Joseph. A. J. VII. 10. 3.