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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0021
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XV

zu haben durch die Annahme des unrichtigen Grundsatzes, es sei die
arch. Formenwelt ausschliesslich aus stofflichen konstruktiven Bedingun-
gen hervorgegangen und liesse sich nur aus diesen weiter entwickeln;
da doch vielmehr der Stoff der Idee dienstbar, und keineswegs für das
sinnliche Hervortreten der letztem in der Erscheinungswelt alleinig
massgebend ist. Die Form, die zur Erscheinung gewordene Idee, darf
dem Stoffe aus dem sie gemacht ist nicht widersprechen, allein es ist
nicht absolut nothwendig dass der Stoff als solcher zu der Kunsterschei-
nung als Faktor hinzutrete. Schon die ersten Hauptstücke der vorhegen-
den Schrift werden über diesen wichtigen Punkt Näheres enthalten, in-
dem sie auf den geschichtlichen Ursprung und die Entwicklung des ma-
teriellen Bauprinzips hinweisen.
Zu den Materiellen sind auch diejenigen zu rechnen, die dem sogen,
natürlichen Stile des Ornamentirens huldigen und dabei oft eine Nichtbe-
achtung der stilistisch struktiven Grundsätze des Ausschmückens darlegen.
Die Historiker.
Die historische Schule, die in verschiedene einander bekämpfende
Eichtungen zerfällt, ist bestrebt gewisse Vorbilder der Kunst längst ver-
gangener Zeiten oder fremder Völker mit möglichst kritischer Stiltreue
nachzubilden, die Anforderungen der Gegenwart nach ihnen zu modeln,
anstatt, wie es natürlicher scheint, die Lösung der Aufgabe aus ihren
Prämissen, wie sie die Gegenwart gibt, frei heraus zu entwickeln, und
zwar mit Berücksichtigung jener traditionellen Formen, die sich durch Jahr-
tausende hindurch als unumstösslich wahre Ausdrücke und Typen gewisser
räumlich und struktiv formaler Begriffe ausgebildet und bewährt haben.
Sie sind in gewissem Sinne die Antipoden der Materialisten, obschon
beide Tendenzen auch ihr gegenseitig Gemeinsames haben, das sich schon
in der Geringachtung des Gegenwärtigen und traditionell Gegebenen
ausspricht.
Die vielen Richtungen dieser unsere Zeit ganz speziell charakteri-
sirenden Schule haben jene zahllosen Werke als Ausgangspunkte, in denen
die Entdeckungen und Studien über die Künste aller Länder der antiken,
der mittelalterlichen und der modernen Welt niedergelegt sind. Sie mei-
nen alle in dem geschichtstreusten Auffassen und Reproduciren des Vor-
bildes eine Garantie ihres Erfolgs zu erkennen, und wirklich zeichnen
sich ihre Leistungen in Beziehung auf kritisch-verständiges Wiedergeben
vor allem was vorher in diesem Sinne versucht worden ist vortheilhaft aus.
Ausnehmend gelehrtes und gründliches kritisches Verfahren, höchst
fleissiges und besonnenes Zusammenstellen, gewissenhaftestes Durchsu-
chen aller Forschungsquellen, der Bibliotheken und Archive, der Monu-
mente und Kunstkammern, nach Gewährsstellen, Künstlernamen, Stif-
 
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