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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0035
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XXIX

Beispiele: Die Perlenschnüre mit doppelten und mehrfachen Disken,
eine sehr leicht fassliche ungleiche Alternanz ; die Löwenköpfe und Mas-
ken an der Traufrinne des griechischen Gebälkes, welche die Kranzver-
zierungen durchsetzen. — Die Balustraden des Renaissancestils. Vorwie-
gend in den barbarischen Baustilen, in der Hinduarchitektur, in der
arabischen Baukunst, in dem Gothischen.1 Diese Intersekanz ist der
romantischen Stimmung fördersam, mehr malerisch-musikalisch wirkend,
derweil die einfache und die alternirende Eurhythmie der plasti-
schen Schöne entsprechen.
Wegen der mehr malerischen als plastischen Wirkung der Inter-
sekanz ist sie besonders in polychromer Darstellung und als Flächen-
dekoration zu empfehlen, für Teppiche, keramische Werke, eingelegte
Metall- und Holzarbeiten und dergl.
Noch höhere Grade eurhythmischer Glieder mögen nur dann ange-
bracht sein wenn eine gewisse reiche Konfusion oder ein konfuser Reich-
thum hervortreten soll; z. B. auf Vorhängen, Stickereien, Kleiderstoffen
Schawls und dergl., überhaupt in Fällen, wo die streng architektonische
Eurhythmie zu trocken und steif erscheinen müsste.
Der Anfang des Hauptstückes über textile Künste gibt Näheres über
die berührten und damit in Verbindung stehenden Punkte. Vergleiche
auch die dort gegebenen Holzschnitte und sämmtliche zum ersten Bande
gehörige Tondrücke, worauf Beispiele aller Modifikationen eurhythmischer
Reihung befindlich sind.
Symmetrie.
Nicht mit der Proportion, sondern mit der Symmetrie steht die
Eurhythmie in sehr naher Begriffsverwandtschaft, da strenge genommen
das Symmetrische nur ein Stück, ein Bruchtheil, eines eurhythmischen
Ganzen, das in sich zurückkehrt, ist. Man denke sich die Erde durch-
schnitten, so bildet die Durchschnittsfläche eine kreisförmige Scheibe, auf
deren äusserem Rande sich die Gegenstände der Erdoberfläche, in radi-
aler Gestaltung zum Mittelpunkte der Scheibe gerichtet, reihen. Ein
Stück dieses Erdmeridians, den der architektonische Sinn sich eurhyth-
misch gegliedert vorstellt, ist eine symmetrische Reihe, die nur dess-
halb uns befriedigt, weil wir in ihr einen derartigen Bezug auf das All-
gemeine erkennen, der dem Einzelnerscheinen statischen Halt gestattet.
Symmetrische Formen haben demgemäss nicht wie jene regelmässigen
1 Schon sehr bald verliess die christliche Baukunst den einfachen Säulen-
rhythmus der antiken Gebäude und adoptirte dafür die Intersekanz der
abwechselnden Säulen und Pfeiler, gewiss eben so sehr aus ästhetischen wie
aus struktiven und liturgischen Gründen.
 
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