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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0045
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XXXIX

Häufig knüpft sich an ein solches Mal der Begriff des Haltens und Zu-
sammenhaltens, materiell und zugleich symbolisch, wie bei der Agraffe.
Das Mal wird auch sehr früh monumentalisch benützt, zur Bezeich-
nung einer geweihten Stelle. Sehr ursprünglich tritt es auf als Erdhü-
gel. Mäler dieser Art, zumeist Grabstätten gefallener Krieger und Volks-
führer, sind als älteste Monumente fast über die ganze Erde verbreitet.
Bereits baulich ausgebildet erscheint das Mal an den Grabmälern des Ogy-
ges und der Tantaliden bei Sipylos in Phrygien, und diesen ähnlichen
Werken in Griechenland, Italien, Sardinien u. s. w.; entwickelter in den
Terrassenpyramiden Mittelamerikas und Assyriens; erstarrt in den ägyp-
tischen Pyramiden; raffinirt in den Grabmälern des Mausolus, Augusts
und Hadrians. Das Mal dient auch bei Spielen als Zeichen und Ziel
mit treffender Anspielung.
Eine interessante Erscheinung ist das Zusammentreten der beiden
Momente, der vielheitlichen Eeihe und des einheitlichen Mals, zu einer
monumentalen Gesammtwirkung, das Umgeben des letztem mit rhyth-
misch geordneten Steinkreisen, als fassliches Beispiel des Zusammentre-
tens von Vielheiten zu einem einheitlichen Bezug. Das Mal als Reflex
des einheitlichen Begriffs, gegenüber der Vielheit, die durch peripherisch
rhythmische Reihung in sich Eins wird und zugleich mächtig zur Ver-
stärkung der Autorität des Males beiträgt. Beispiele die Steinkreise, mit
den Menhir’s1 in ihrer Mitte, zu Carnac, zu Abury, Stonehenge und sonst
an vielen Orten.
Von der symmetrischen Autorität.
Die linearische Symmetrie tritt bekanntlich an den Blättern und
Zweigen, wenn diese für sich betrachtet werden, an den Thieren und
Menschen, so wie an den meisten Kunstwerken, namentlich den monu-
mentalen, hervor. Sie ist die nach dem Gesetz des Gleichgewichts ge-
regelte Vertheilung der Bestandtheile des Ganzen nach horizontaler Ord-
nung um eine vertikale Axe, die senkrecht auf die Bewegungsrichtung
gedacht wird. Diese Axe ist der Sitz der linearisch symmetri-
schen Autorität. Man hebt sie heraus durch Massenumgebung, durch
Relief, durch Ueberhöhung, durch Reichthum und ornamentale Ausstat-
tung, durch Farbenkontrast, oder durch alles diess zugleich, so dass die
übrigen Glieder der Symmetrie das so Hervorgehobene nur mitklingend
akkompagniren. Es ist gleichsam für jene der Repräsentant des Attrak-
tionsmittelpunktes der Erde, um den herum sie gravitiren. Oft gelingt
es in der Kunst durch geschickte Wahl einer solchen symmetrischen Au-
torität der strengen Symmetrie aller Theile sich überheben zu können,
1 Grab mal er und zugleich Spielmäler. Die Steinkreise umher die
Vorbilder der Circus, Stadien, Amphitheater und sonstigen Schauplätze.
 
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