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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0155
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Textile Kunst. Die Decke; Pelzwerk und Leder.

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geschlossenen Extremitäten und Beiwerken, mit ihren scharf ac-
centuirten, feinen und doch zugleich massigen Umrissen sind
gleichsam ein konventionelles Ueb er ein komm en zwischen dem
harten widerstrebenden Stoffe und der weichen Hand des Men-
schen mit ihren einfachen Werkzeugen, dem Hammer, dem Meissel,
der Feile und dem Schleifsteine. Sie sind zugleich das Ergebniss
der Absicht, ein langdauerndes, nicht leicht zerstörbares
Werk zu stiften. Ihre grossartige Ruhe und Massenhaftigkeit, die
etwas eckige und flache Feinheit ihrer Lineamente, die Mässigung
in der Behandlung des schwierigen Stoffes, die sich an ihnen kund
gibt, ihr ganzer Habitus sind Stilschönheiten, die jetzt, da wir den
härtesten Stein mit Hülfe der Maschinen wie Käse und Brod
schneiden können, zum Theil keine Nothwendigkeit mehr haben,
— aber dennoch thun wir wohl, ihn nur da anzuwenden, wo
Härte und Dauer des Stofflichen nothwendig wird und aus diesen
beiden Eigenschaften allein das zu befolgende Stilgesetz abzu-
leiten, dem sich die Maschine bei ihrem Werke unterzuordnen
hat. — Dasselbe gilt, unter veränderten Prämissen (da hier Ge-
schmeidigkeit, Flachheit und Dauerhaftigkeit die stoff-
lichen Bedingungen sind), von den Stilgesetzen, wonach sich die
Maschine bei den Lederfabrikaten in ihrer Allmacht mässigen soll.
§. 29.
Weiteres über Leder und Pelzwerk.
Es ist zweifelhaft, ob nicht die Kunst des Gerbens noch früher
denn in Aegypten schon in Asien zu hoher Vollkommenheit ge-
diehen war. Von den Chinesen wissen wir, wie schon angeführt
worden, dass sie schon im 3ten Jahrtausende vor Christo wie in
fast allen technischen Künsten, so auch in dieser keine Anfänger
mehr waren. Sie waren schon in so früher Zeit Antiquitäten-
sammler und in den ältesten Urkunden des Volkes wird auf die
Geschicklichkeit der Vorfahren und die Vorzüglichkeit der Werke
aus jenen Urzeiten angespielt.
Auch die uralte Bevölkerung des Euphratthales verstand diese
Kunst seit Zeiten, die wenigstens ebenso lange entfernt liegen von
dem Anfänge der Geschichte rückwärts gerechnet, wie die jetzigen
es sind, im entgegengesetzten Sinne gerechnet. Nicht nur gemeine
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