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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0208
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Viertes Hauptstück.

und Sticken bildet. Zugleich geht hieraus hervor, in wie be-
schränktem Sinne die Annahme, wonach vor der Einführung
der Seidenkultur in Sicilien durch die normannischen Fürsten
nur in Griechenland, nicht in Italien, Seidenmanufakturen bestan-
den haben sollen, ihre Richtigkeit habe, da grossartige Kunst-
werke in Seide schon viel früher im Westen, zwar nicht gewebt,
aber doch gestickt worden sind. — Es ist nicht einmal erwiesen,
dass die zu dieser Industrie erforderlichen glatten Stoffe, falls sie
aus Seide bestehen sollten, alle aus dem Auslande bezogen wer-
den mussten. Es konnte damals die von Auswärts eingeführte
gefärbte oder rohe Seide im Inlande zu einfachen Geweben ver-
arbeitet werden, gerade wie diess bereits zur späteren Kaiserzeit
geschah, was die oben angeführten, nicht byzantinischen, sondern
spät-römischen historiirten Seidenstoffe darzulegen scheinen, und
wie, trotz der Entwicklung der Seidenmanufaktur in so kolossa-
len Verhältnissen, es in den westlichen Ländern noch heutigen
Tages geschieht. Das grosse Verdienst der normännischen Könige
bestand allein in der Verbreitung des Maulbeerbaumes und der
Seidenwurmzucht in den von ihnen beherrschten Ländern und
der grossartigen Protektion und Erweiterung, die sie der bereits
viel früher von den Sarazenen in Sicilien begründeten Seiden-
manufaktur zu Theil werden liessen. Sie machten daraus eine
monopolisirte Fabrikanlage, wahrscheinlich mit gleichzeitiger Un-
terdrückung aller Privat - Industrie, in welcher Sarazenen neben
einigen griechischen Arbeitern und Arbeiterinnen die Werkführer
und geschicktesten Producenten waren.
Hugo Falcandus, der gleichzeitige Geschichtschreiber Siciliens
(Ende des 12. Jahrhunderts), stattet über diese königl. Manufaktur
zu Palermo einen ausführlichen und interessanten Bericht ab,
woraus hervorgeht, dass das „Hotel de Tiraz“ aus vier Haupt-
ateliers bestand, nämlich 1) dem Atelier für einfache Gewebe, wie
Tafft, Levantin, Gros de Naples u. dergh, die amita, dimita und
trimita genannt werden; 2) dem Atelier für Sammt (examita) und
Atlas (diarhodön) ; 3) dem Atelier für geblümte Zeuge, (was wir
Damast nennen) und gemusterte (mit Kreisen und sonstigen Mo-
tiven übersäte) Stoffe (exanthemata et circulorum varietatibus in-
signita); 4) dem Atelier für Goldstoffe, Buntgewebe und Stickereien.
Dieses letztere war natürlich dasjenige, aus welchem die eigent-
lichen Kunstzeuge, mit Edelsteinen und Perlen bestickt, fertig
 
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