220
Viertes Hauptstück.
Beziehungen ist das Mittelalter zu der richtigen Auffassung und
Schätzung der Antike noth wendig, während es sich gleichzeitig
aus sich selbst nur ungenügend, vollständig erst durch diese
Vergleichung mit der Antike erklärt.
Der schaffende Genius der Griechen hatte eine edlere Auf-
gabe, ein höheres Ziel, als die Erfindung neuer Typen und Mo-
tive der Kunst, die sie von Alters her überkamen und ihnen
heilig blieben; ihre Mission bestand in anderem, darin nämlich,
diese, fertig wie sie dem Stofflichen nach bereits fixirt waren,
ihren nächsten gleichsam tellurischen Ausdruck und Gedanken
in höherem Sinne aufzufassen, in einer Symbolik der Form,
in welcher Gegensätze und Prinzipe, die im Barbarenthum ein-
ander ausschliessen und bekämpfen, in freiestem Zusammenwirken
und zu schönster reichster Harmonie sich verbinden. Wie will
man diesen höheren Sinn erfassen , wie lässt sich die hellenische
Form, die sekundäre, zusammengesetzte, verstehen, ohne vor-
herige Kenntniss jener traditionellen und in gewissem Sinne
naturgesetzlichen Bestandteile derselben in ihrer ursprünglich
tellurischen Bedeutung ? Diese muss vorangeschickt werden ehe
wir uns dem höheren aber abgeleiteten Sinne welchen ihr die
Hellenen beilegten zuwenden.
Unter diesen alt-überlieferten formalen Elementen der helle-
nischen Kunst ist keines von so tief greifender Wichtigkeit wie
das Prinzip der Bekleidung und I nkru stirung, welches
die gesammte vorhellenische Kunst beherrscht und in dem grie-
chischen Stile keineswegs abgeschwächt oder verkümmert son-
dern nur in hohem Grade vergeistigt und mehr im struktiv-
symbolischen denn im struktiv - technischen Sinne, der
Schönheit und der Form allein dienend, fortlebt.
Der nähere Aufschluss dieses Gegensatzes wird erst im Ver-
laufe dieses Artikels erfolgen können, der eben das wichtige
Prinzip der Bekleidung und der Inkrustirung als Element der
bildenden Künste zu besprechen hat.
Das Werk des grössten französischen Kunstforschers und Ken-
ners der Antike, Quatremere de Quincy’s Jupiter Olympien, war
nahe daran eine für das Verstehen der antiken Kunst in ihrer
Gesammtheit im hohen Grade wichtige Frage zu lösen, ja es löst
sie zum Theil, obschon nicht allgemein und prinzipiell genug, für
Viertes Hauptstück.
Beziehungen ist das Mittelalter zu der richtigen Auffassung und
Schätzung der Antike noth wendig, während es sich gleichzeitig
aus sich selbst nur ungenügend, vollständig erst durch diese
Vergleichung mit der Antike erklärt.
Der schaffende Genius der Griechen hatte eine edlere Auf-
gabe, ein höheres Ziel, als die Erfindung neuer Typen und Mo-
tive der Kunst, die sie von Alters her überkamen und ihnen
heilig blieben; ihre Mission bestand in anderem, darin nämlich,
diese, fertig wie sie dem Stofflichen nach bereits fixirt waren,
ihren nächsten gleichsam tellurischen Ausdruck und Gedanken
in höherem Sinne aufzufassen, in einer Symbolik der Form,
in welcher Gegensätze und Prinzipe, die im Barbarenthum ein-
ander ausschliessen und bekämpfen, in freiestem Zusammenwirken
und zu schönster reichster Harmonie sich verbinden. Wie will
man diesen höheren Sinn erfassen , wie lässt sich die hellenische
Form, die sekundäre, zusammengesetzte, verstehen, ohne vor-
herige Kenntniss jener traditionellen und in gewissem Sinne
naturgesetzlichen Bestandteile derselben in ihrer ursprünglich
tellurischen Bedeutung ? Diese muss vorangeschickt werden ehe
wir uns dem höheren aber abgeleiteten Sinne welchen ihr die
Hellenen beilegten zuwenden.
Unter diesen alt-überlieferten formalen Elementen der helle-
nischen Kunst ist keines von so tief greifender Wichtigkeit wie
das Prinzip der Bekleidung und I nkru stirung, welches
die gesammte vorhellenische Kunst beherrscht und in dem grie-
chischen Stile keineswegs abgeschwächt oder verkümmert son-
dern nur in hohem Grade vergeistigt und mehr im struktiv-
symbolischen denn im struktiv - technischen Sinne, der
Schönheit und der Form allein dienend, fortlebt.
Der nähere Aufschluss dieses Gegensatzes wird erst im Ver-
laufe dieses Artikels erfolgen können, der eben das wichtige
Prinzip der Bekleidung und der Inkrustirung als Element der
bildenden Künste zu besprechen hat.
Das Werk des grössten französischen Kunstforschers und Ken-
ners der Antike, Quatremere de Quincy’s Jupiter Olympien, war
nahe daran eine für das Verstehen der antiken Kunst in ihrer
Gesammtheit im hohen Grade wichtige Frage zu lösen, ja es löst
sie zum Theil, obschon nicht allgemein und prinzipiell genug, für