Textile Kunst. China.
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wurden und eine ziemlich ausgebildete Modellirung mit berech-
neter Wirkung der Licht- und Schättenparthieen daraus hervor-
ging. Auf diese Weise werden noch immer lebensgrosse Figuren
im entschiedenen Reliefstil ja ganze Friese und zusammenhängende
Compositionen mit der .Nadel und in schönfarbigen Seidenfäden
ausgeführt. Proben dieser Kunst sah ich im Jahre 1851 in der
Ausstellung zu London, die mich in Stil und Behandlung so leb-
haft an die bekannten ninivitischen Flachreliefs erinnerten, dass
ich seit dem in diesen nichts anderes mehr erkennen konnte als
eben in den Alabaster übersetzte Teppichstickerei der alten
Assyrier, und zwar Reliefstickerei gleich jenen dem Datum nach
modernen, dem Stile nach fast antediluvianischen chinesischen
Tapeten. 1
Es ist zugleich noch hervorzuheben, dass dieser unzweifelhaft
in der Stickerei wurzelnde Stil sich in dem in Rede stehenden
Lande auch auf andere Fächer der Kunstindustrie übertrug und
in der That ein wesentliches Moment der gesammten ostasia-
tischen Kunsttechnik geworden ist, das sich auf die verschiedenste
Weise manifestirt. Die Lackmalerei und besonders auch die
Porzellanmalerei Japans und Chinas, desgleichen die Email-
malerei jener Länder beruht auf der gleichen Methode, eine
Art Malerei en relief, worüber in dem Hauptstücke Keramik
unter Porzellan Detaillirteres gesagt werden wird.
Merkwürdig, dass neben diesem das eigentliche Relief in
grösserer monumentaler Anwendung eigentlich gar nirgend her-
vortritt, dass es nur in kleinerem Schnitz werk, in der Töpferei
und in der Metallarbeit eine Stelle einnimmt und hier, wie es
scheint, aus einer anderen Wurzel hervorging.
Die Stukaturarbeit, die in Indien, wie wir sehen werden, als
ein so wichtiges Uebergangsglied zur monumentalen Steinskulp-
tur auftritt, scheint in China nicht eben stark in Gebrauch zu
sein ; was sich aus der einmal gesetzlichen leichten Bauweise er-
klären lässt.
1 Das angeführte Stück chinesischer Stickerei war von dem Board of
Trade unter folgenden Worten ausgestellt: Basrelief specimen of Chinese
Costume ,,a lady of rank reclining on a Sopha.“ Es befindet sich jetzt in
einem der Zimmer des board. Unter anderen Stickereien sah man auf der-
selben Ausstellung auch „a feather-painted and embroidered fan"; einen mit
Federn gestickten Fächer.
Semper. 32
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wurden und eine ziemlich ausgebildete Modellirung mit berech-
neter Wirkung der Licht- und Schättenparthieen daraus hervor-
ging. Auf diese Weise werden noch immer lebensgrosse Figuren
im entschiedenen Reliefstil ja ganze Friese und zusammenhängende
Compositionen mit der .Nadel und in schönfarbigen Seidenfäden
ausgeführt. Proben dieser Kunst sah ich im Jahre 1851 in der
Ausstellung zu London, die mich in Stil und Behandlung so leb-
haft an die bekannten ninivitischen Flachreliefs erinnerten, dass
ich seit dem in diesen nichts anderes mehr erkennen konnte als
eben in den Alabaster übersetzte Teppichstickerei der alten
Assyrier, und zwar Reliefstickerei gleich jenen dem Datum nach
modernen, dem Stile nach fast antediluvianischen chinesischen
Tapeten. 1
Es ist zugleich noch hervorzuheben, dass dieser unzweifelhaft
in der Stickerei wurzelnde Stil sich in dem in Rede stehenden
Lande auch auf andere Fächer der Kunstindustrie übertrug und
in der That ein wesentliches Moment der gesammten ostasia-
tischen Kunsttechnik geworden ist, das sich auf die verschiedenste
Weise manifestirt. Die Lackmalerei und besonders auch die
Porzellanmalerei Japans und Chinas, desgleichen die Email-
malerei jener Länder beruht auf der gleichen Methode, eine
Art Malerei en relief, worüber in dem Hauptstücke Keramik
unter Porzellan Detaillirteres gesagt werden wird.
Merkwürdig, dass neben diesem das eigentliche Relief in
grösserer monumentaler Anwendung eigentlich gar nirgend her-
vortritt, dass es nur in kleinerem Schnitz werk, in der Töpferei
und in der Metallarbeit eine Stelle einnimmt und hier, wie es
scheint, aus einer anderen Wurzel hervorging.
Die Stukaturarbeit, die in Indien, wie wir sehen werden, als
ein so wichtiges Uebergangsglied zur monumentalen Steinskulp-
tur auftritt, scheint in China nicht eben stark in Gebrauch zu
sein ; was sich aus der einmal gesetzlichen leichten Bauweise er-
klären lässt.
1 Das angeführte Stück chinesischer Stickerei war von dem Board of
Trade unter folgenden Worten ausgestellt: Basrelief specimen of Chinese
Costume ,,a lady of rank reclining on a Sopha.“ Es befindet sich jetzt in
einem der Zimmer des board. Unter anderen Stickereien sah man auf der-
selben Ausstellung auch „a feather-painted and embroidered fan"; einen mit
Federn gestickten Fächer.
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