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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0320
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Viertes Hauptstück.

Spolien eroberter Länder zu schmücken, keineswegs aber von
einem durchgreifenden Einflüsse ägyptischen Wesens auf Assy-
riens Verhältnisse. — Vielmehr wird es mit den Traditionen
aller Völker und selbst der Aegypter, die den Phrygiern das
Vorrecht höheren Alters liessen, übereinstimmen, wenn wir in
Westasien den Ursprung aller derjenigen Erscheinungen in der
Religion, der Politik, der Gesittung und der Kunst suchen, deren
Wiederhervortreten bei allen Völkern uns so sehr auffällt. Viel-
leicht war alles was das Becken des Mittelmeeres umwohnte ein-
mal nach gleicher Gesellschaftsform gemodelt, wurde diese Ein-
heit in Stücke gerissen und bildeten sich die vereinzelten Bruch-
stücke derselben, von gleicher Basis ausgehend, nach dieser
Trennung in eigenem Wesen aus, vielleicht erklärt sich die Sache
besser nach der Hypothese der Wanderungen und des Coloni-
sirens, vielleicht wirkte beides durcheinander, immer ist man ge-
zwungen anzunehmen dass gewisse älteste Typen der Kunst so
wie der Religion, der Politik u. s. w. das gemeinsame Erbtheil
aller Völker aus den Zeiten vor ihrer Abzweigung von einem
Urstamme und keinesweges spätere Ueberkommnisse sind. Bei
einigen Völkern erhielt sich diese Form, bei anderen die andere
längere Zeit in ihrer Ursprünglichkeit, bei allen trübten sich die
Ueberlieferungen durch Beimischungen heterogener auf fremdem
Boden ausgebildeter Elemente und gingen sie zugleich durch Me-
tamorphosen die der eigene Fortschritt der Völker hervorrief.
Wir werden sehen, für welche Formen die Aegypter in Be-
ziehung auf die Erhaltung des Ursprünglichen zuerst zu nennen
sind, keinenfalls aber hier, wo es sich um diejenigen handelt, die
aus dem Prinzipe der Bekleidung hervorgingen.

Was wir durch die folgewichtigen Entdeckungen der Botta,
Layard, Loftus und Rassam von chaldäischer und assyrischer
Baukunst kennen, beschränkt sich auf die untersten Etagen gross-
artiger Terrassenanlagen, die das Grundmotiv der gesammten
westasiatischen Baukunst des Alterthums sind, und in der Absatz-
pyramide des Grabdenkmal bildenden Tempels ihren letzten Ab-
schluss erreichen.
Dieses reich gegliederte westasiatische Terrassensystem wurde
vervollständigt und gekrönt durch längst verschwundenen Säulen-
 
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