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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0369
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Textile Kunst. Exkurs. Tapezierwesen der Alten. 319
Was die Kapsel des Sarges angeht, so können wir uns durch
die ägyptischen Sarghekleidungen aus gemaltem Holze, wie sie
in ptolomäischer Zeit in Gebrauch kamen, deren mehrere in dem
brittischen Museum zu London aufgestellt sind, eine deutliche
Vorstellung von ihr machen. Ein ähnliches Kalypter, das den
Sarg umgab und mit Malereien verziert ist, hat man in einem
Grabmahle zu Panticapeä gefunden. 1 Wir sehen dieselbe Sitte
noch durch ganze Mittelalter herrschend und erkennen in
den monumentalen Katafalken, in welchen die Reliquiensärge
niedergelegt sind, die genaue Wiederholung einer uralten Form
des Bestattens. Oft sind die mittelalterlichen Kalypter oder Sarg-
kapseln von getriebenem Silber, wie z. B. an dem berühmten
Sebaldusmonumente zu Nürnberg. In verkleinertem Massstabe,
reich mit Edelsteinen besetzt und emaillirt, wird dieselbe Form
als Reliquienbehälter typisch. Ein sehr schönes und grosses Reli-
quiarium mit Sargbehälter, aus Holz geschnitzt im gothischen Stile,
erinnere ich mich in einer Kapelle der Zwickauer Marienkirche
gesehen zu haben. Andere ähnliche befinden sich in dem mittel-
alterlichen Museum des grossen Gartens zu Dresden.2
Die vier Gemälde, die als Wände dienten (urovg töi$ Tolyoi^)
müssen um das Ganze des Katafalks herumgelaufen sein; ich
denke sie mir als einen Peribolos, der den eigentlichen Säulen-
bau so umfasste, dass dieser mit seinem durchsichtigen Gitterwerke
und der von Löwen gehüteten Thüröffnung sich über ihn erhob.
Es wäre gewiss nicht ohne grosses stilhistorisches Interesse
die Gewohnheit des festlichen Bekleidens der Monumente bei
kirchlichen sowie profanen Pompen und Celebrationen nebst da-
mit verbundenen Aufführens temporärer Bauwerke durch das
Mittelalter bis zur Gegenwart zu verfolgen, ihren Zusammenhang
mit der alten Ueberlieferung nachzuweisen, wenn dieses Thema
nicht zu weit führte.
Ich hatte Gelegenheit zu Rom einer Pabstkrönung beizuwoh-
nen und dabei den Anblick aller alten Arazzi und Prachttapeten,
die seit Jahrhunderten in den Vestiarien des Vatikans nieder-
gelegt sind, woraus sie, wie aus jenen Thesauren des Apollo-
heiligthums zu Delphi, nur bei grossen Kirchenfeiern an das Licht
1 Beschrieben im Journal des Savants 1835, Juin p. 338 — 39.
2 Gaillhaband in seiner neuesten Sammlung gibt die interessante Dar-
stellung einer „Chapelle ardente“ zu Nonnenburg bei Salzburg.
 
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