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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0430
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Viertes Hauptstück.

Ein zweites spezifisch technisches Motiv sind die an den assy-
rischen Möbeln und • Geräthen verschwenderisch angewandten
N ä h t e.
Metallbleche lassen sich zu tubulären und hohlen Formen nicht
anders als mit Hülfe des genannten Verbindungsmittels solid zu-
sammenfügen.
Die Nähte werden gebildet durch Falzungen und Niethun-
gen, wozu noch später'der Prozess des Löthens tritt. Die älteste
Metalltechnik kannte letzteren nicht, obschon die Prätension der
Griechen, welche die Ehre der Erfindung dieses technischen Pro-
zesses ihrem Landsmanne Glaukos von Chios geben, wie in
den meisten ähnlichen Fällen, absurd ist, da er schon unendlich
früher von Asiaten und Aegyptern gekannt und vielfach ange-
wandt worden ist. 1
Die Fäl zung, d. h. das Uebereinanderbiegen der Metallflächen
an ihren Rändern, dient zugleich zu der Verstärkung und Steifung
des hohlen Systems; man erreicht dadurch jene Durchschnitts-
flächen in Form des Buchstaben T, deren Vortheil die neueste
Theorie erkannte und hervorhob. (Siehe die Figur auf S. §67 oben.)
Die Niethung ist eine Ligatur die in isolirter Anwendung
und in Verbindung mit der Fälzung bei metallenen Strukturen
ein besonders ergiebiges dekoratives Moment bildet. Die Fläche
wird durch geschickte Reihung und eurhythmischen Wechsel der
zierlich geformten und in andersfarbigem Metall glänzenden Nägel-
köpfe belebt. Dergleichen Niethungen und Fälzungen leuchten
als materielles Motiv durch die Ornamentik des gesammten Möbel-
und Geräthewesens der Assyrier, soweit wir es kennen, deutlich
hervor; viele noch erhaltene Stücke assyrischer Metallarbeiten
geben deutliches Zeugniss von der ornamentalen Benützung
dieser technischen Hülfsmittel.
Ausserdem ist noch drittens die Schäftung als ein der Em-
paistik eigentümliches technisches Motiv der künstlerischen Aus-
stattung hervorzuheben. Die Schäftung tritt ein wo Stäbe ihrer
Länge nach aneinander befestigt werden, damit sie gemeinschaft-
1 Herod. 1, 25. riavnov tov Xlov Ttol/rtfia, og [M)vvog 8t] ndvtcov dv&Qtoncov
■koUtjGlv S^eupe. Es ist hier nur von dem Löthen des Eisens die
Rede. Man ersieht aber aus dieser und ähnlichen Stellen der Alten welche
hohe Bedeutung sie den einzelnen technischen Prozessen der Künste bei-
massen und wie sie deren Einfluss auf die Kunstgestaltung richtig beurtheilten.
 
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