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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0436
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386 Viertes Hauptstück.
Geräthe oder Theile desselben beigelegt werden vortrefflich zu
gebrauchen.
Die ornamentale Form, die sie schon als religiöse und
kosmogonischc Symbole erhielten richtete sie zu diesem Ge-
brauche vor. Es mag dahin gestellt bleiben ob nicht ihr
Charakter als Symbole tendenziöser Art, nämlich als bedeutungs-
volle Zeichen für Ideen die mit dem nächsten Zwecke und der
Konstruktion der Geräthe nichts zu schaffen haben sondern sich
auf äusser diesen Liegendes beziehen, zuerst ihre Einführung
in den Formenkreis der technischen Künste vermittelt hatte; jeden-
falls führte dann der natürliche Kunstsinn unwillkürlich auf ihre
richtige Verwerthung in dem andern früher bezeichneten Sinne.
Die assyrischen Kunstgeräthe sind desshalb eben so überaus
interessant, weil wir den Doppelsinn dieser Symbole noch an
ihnen herauslesen. Die freie Kunst hat sich an ihnen noch nicht
aus dem Ornamente abgelöst, letzteres behält dafür höhere Be-
deutung als die des einfachen Zierraths.
Die hellenische Kunst dagegen spaltet diesen Doppelsinn und
weiset jeder Hälfte die ihr gebührende Stelle an. Sie fasst die
ornamentalen Symbole vorzugsweise in struktiv - funktionellem
Sinne, mit möglichst gemilderter und leisester Anspielung auf
tendenziöse Bedeutung, die ihnen noch bleibt; der höheren Kunst
weist sie ihre neutralen Felder an, wo sie, von der Struktur und
dem nächsten materiellen Dienste des Systemes unabhängig, sich
frei entfaltet.
Der kräftige aber unfreie und niedere Willensausdruck, den
jene assyrischen Fabelbestien zeigen, macht, wie gesagt, sie be-
sonders dazu geeignet gewissen zwecklichen Ideen, die ein
Künstler seinem Werke beilegt, zum Ausdrucke zu dienen. Das
todte Geräth wird durch die Anwendung dieser Thierformen zu
einer Art von Person erhoben und individualisirt. Wie das
Pflanzenornament die Struktur zu einem Organismus um-
schafft, so erhebt das animalische Ornament den todten Haus-
rath gleichsam zu einem freiwillig oder unwillig dienenden Haus-
thiere ! Das Möbel wird dadurch dass ich ihm Füsse in Gestalt
von Löwentatzen oder Rehläuften gebe als ein Gegenstand be-
zeichnet der nach meinem Willen sich fortbewegt oder doch be-
wegbar ist. Den Grad der Bewegbarkeit den ich ihm beilegen
will symbolisch zu nüanciren habe ich in meiner Hand! Die
 
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