432 Viertes Hauptstück,
und den Aegyptodoriern vertretene Meinung widerspricht der
Physis, dem Erzeugungs- und Wachsthumsgesetze, das sich in
der Säule, sowie in dem was sie zu stützen hat, ausspricht.
Wie unstatthaft diese geträumte Genesis der dorischen kannelirten
Säule sei, beweist schon ihr frühestes (angebliches) Vorkommen
an den Gräbern von Beni-Hassan, woselbst sie mit einem in
Holz konstruirten Gebälke (d. h. mit einer aus dem Felsen ge-
hauenen Nachahmung desselben) in Verbindung steht.
Doch wenden wir uns zunächst zu anderen mehr oder weni-
ger fossilen Ueberresten von Menschenwerk, die, nicht minder
charakteristisch als jene, und von ihnen grundverschieden, der
Boden Kleinasiens aufweist.
Auch der dorische Stil hat hier seine gleichsam vorwelt-
lichen Repräsentanten, die, gleich jenen ionischen, vor allem Frühe-
sten was auf eigentlich hellenischem Boden den gleichen Stil verräth
die untrüglichsten Kennzeichen grösserer Ursprünglichkeit voraus
haben. Wenigstens ein solches Exemplar ist bereits entdeckt
worden welches dieses Vorrecht höchster Stilursprünglichkeit un-
zweifelhaft besitzt, mit dem desshalb in einem architektonologischen
Museum die Rubrik „Dorischer Stil“ zu eröffnen, das daher
hervorzuheben und bestens zu beleuchten ist. Statt dessen aber
fertigt das neueste und verbreitetste deutsche Handbuch der Archi-
tekturgeschichte diesen Üeberrest mit 23 Zeilen ab. Zwar recht-
fertigt der Verfasser des gedachten Werks dieses Obenhinbehan-
deln mit der, wie ihm scheint, willkürlichen Restitution welche
der Entdecker dieses Monuments, Herr Texier, damit vorgenom-
men habe; aber wäre letztere auch noch so verbürgt, so würde
dennoch Derartiges nur als Curiosum und als Monstrum in das
einmal etablirte System unserer Kunstphysiologen unterzubringen
sein, welcher Ausweg somit gewählt wird. Wer sich aber um
das genannte System nicht bekümmert , hat ein Recht die Sache
wichtiger zu nehmen und jenen merkwürdigen dorischen Ar-
chitrav des Tempels der Akropolis von Assos an der
äolischen Küste Kleinasiens mit seinen alterthiimlichen Skulpturen
als*Handhabe oder als Stützpunkt zu wählen, der ihm einen tüch-
tigen Sprung aufwärts, dem. Endziele näher, erleichtern soll.
Beides, sowohl die Stelle woselbst diese Skulpturen ange-
bracht sind, wie leztere selbst, ihr Charakter und was sie dar-
stellen, sind höchst befremdlich. Sprechen wir zuerst von der
und den Aegyptodoriern vertretene Meinung widerspricht der
Physis, dem Erzeugungs- und Wachsthumsgesetze, das sich in
der Säule, sowie in dem was sie zu stützen hat, ausspricht.
Wie unstatthaft diese geträumte Genesis der dorischen kannelirten
Säule sei, beweist schon ihr frühestes (angebliches) Vorkommen
an den Gräbern von Beni-Hassan, woselbst sie mit einem in
Holz konstruirten Gebälke (d. h. mit einer aus dem Felsen ge-
hauenen Nachahmung desselben) in Verbindung steht.
Doch wenden wir uns zunächst zu anderen mehr oder weni-
ger fossilen Ueberresten von Menschenwerk, die, nicht minder
charakteristisch als jene, und von ihnen grundverschieden, der
Boden Kleinasiens aufweist.
Auch der dorische Stil hat hier seine gleichsam vorwelt-
lichen Repräsentanten, die, gleich jenen ionischen, vor allem Frühe-
sten was auf eigentlich hellenischem Boden den gleichen Stil verräth
die untrüglichsten Kennzeichen grösserer Ursprünglichkeit voraus
haben. Wenigstens ein solches Exemplar ist bereits entdeckt
worden welches dieses Vorrecht höchster Stilursprünglichkeit un-
zweifelhaft besitzt, mit dem desshalb in einem architektonologischen
Museum die Rubrik „Dorischer Stil“ zu eröffnen, das daher
hervorzuheben und bestens zu beleuchten ist. Statt dessen aber
fertigt das neueste und verbreitetste deutsche Handbuch der Archi-
tekturgeschichte diesen Üeberrest mit 23 Zeilen ab. Zwar recht-
fertigt der Verfasser des gedachten Werks dieses Obenhinbehan-
deln mit der, wie ihm scheint, willkürlichen Restitution welche
der Entdecker dieses Monuments, Herr Texier, damit vorgenom-
men habe; aber wäre letztere auch noch so verbürgt, so würde
dennoch Derartiges nur als Curiosum und als Monstrum in das
einmal etablirte System unserer Kunstphysiologen unterzubringen
sein, welcher Ausweg somit gewählt wird. Wer sich aber um
das genannte System nicht bekümmert , hat ein Recht die Sache
wichtiger zu nehmen und jenen merkwürdigen dorischen Ar-
chitrav des Tempels der Akropolis von Assos an der
äolischen Küste Kleinasiens mit seinen alterthiimlichen Skulpturen
als*Handhabe oder als Stützpunkt zu wählen, der ihm einen tüch-
tigen Sprung aufwärts, dem. Endziele näher, erleichtern soll.
Beides, sowohl die Stelle woselbst diese Skulpturen ange-
bracht sind, wie leztere selbst, ihr Charakter und was sie dar-
stellen, sind höchst befremdlich. Sprechen wir zuerst von der