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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0484
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Viertes Hauptstück.

dichtet und einen vielgestalteten Proteus aus ihm macht. An an-
dern Bronzestücken und Friesen zeigen sich auch Festgelage
und Kentauren gerade in der Weise wie am Tempel, — und
genau dieselben Gestalten finden sich auf den Füllungen ge-
wisser Steinthore, die den Verschluss der Gräber Hetruriens bil-
deten; von denen mehrere zu meiner Zeit bei Corneto; jeder Ver-
stümmelung preisgegeben, auf der Nekropolis des alten Tarquinii
zerstreut lagen. Die beistehende Skizze gibt eins von diesen
Bruchstücken, das ich damals in mein Skizzenbuch aufnahm.
Niemand trägt einen Augenblick Bedenken, in den bronze-
beschlagenen Holzthoren der etruskischen Häuser und Tempel
die Vorbilder dieser Steinthorflügel zu erkennen; eben so sicher
ist aber auch jener Architrav von Assos, sind jene lykischen
Epistyle, deren Skulpturen ja, wie gezeigt wurde, im Charakter,
in der Behandlung und selbst in der Darstellung mit den er-
wähnten etruskischen beinahe identisch zu nennen, eben so ge-
wiss sind diese in Stein m et am o rp h o s ir t es Sphyrelaton.
Ohne die Unterstützung dieses Vergleiches mit den Grabthoren
von Corneto wäre es schwer gewesen den Einfluss der Metallo-
technik auf das formal - dekorative Wesen eines der wichtigsten
Bautheile des hellenischen Stiles bis zur Evidenz nachzuweisen,
wesshalb ich so lange bei diesen an Kunstwerth sonst nicht
bedeutenden Antiquitäten verweilen zu müssen glaubte; denn
es liegt mir sehr daran als Thatsache festzustellen dass das un-
mittelbare Vorbild oder Motiv des hellenischen Säulenstils nicht
der hölzerne Nützlichkeitsbau ist, dass dieser Säulenstil auch nicht
wie Athene aus dem Haupte des Zeus vollständig fertig und ge-
rüstet aus der Steinkonstruktion hervorging, (wie Karl Bötticher
will,) sondern dass er lange vorbereitet wurde durch das uralt
asiatische inkrustirte Pegma, oder noch richtiger durch das Pegma
mit tubulären Elementen. Was in Beziehung auf statuarische Kunst
sich beinahe von selbst versteht, auch wohl von Niemand mehr
bezweifelt wird, nämlich der Uebergang vom Holzstil durch den
Metallstil in den Steinstil, welcher letztere erst nach der fünfzigsten
Olympiade eigentliche Geltung gewann, ist auch buchstäblich wahr
in Beziehung auf Baukunst. Gerade so wie die Marmorbildsäule
immer noch etwas vom Stile des archaischen Sphyrelatonkolosses
an sich behält, aber von der dädalischen Puppe kein Abkunfts-
zeichen mehr trägt, eben so zeigt sich in dem Steintempel ein
 
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