Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0197
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Textile Kunst. Stoffe. Seide.

149

des XII. Jahrhunderts), stattet über diese königl. Manufaktur zu Palermo
einen ausführlichen und interessanten Bericht ab, woraus hervorgeht, dass
das „Hotel de Tiraz“ aus vier Hauptateliers bestand, nämlich 1) dem
Atelier für einfache Gewebe, wie Tafft, Levantin, Gros de Naples u. dergh,
die amita, dimita und trimita genannt werden; 2) dem Atelier für Sammt
(examita) und Atlas (diarhodon); 3) dem Atelier für geblümte Zeuge
(was wir Damast nennen) und gemusterte (mit Kreisen und sonstigen
Motiven übersäte) Stoffe (exanthemata et circulorum varietatibus insignita);
4) dem Atelier für Goldstoffe, Buntgewebe und Stickereien. Dieses
letztere war natürlich dasjenige, aus welchem die eigentlichen Kunst-
zeuge, mit Edelsteinen und Perlen bestickt, fertig hervorgingen. Man
sieht also, dass eigentlich keine historiirten Gewebe gemacht wurden und
dass dieses höhere Gebiet der Seidenmanufaktur der Kunst der Nadel
überlassen blieb.
Höchst wahrscheinlich werden sich alle Werke höherer textiler
Kunst, die aus dieser älteren Zeit stammen, bei genauer Prüfung als
Stickwerk, entweder als opus Phrygium oder als opus plumarium1 aus-
weisen, wie z. B. die berühmte Dalmatica des kaiserlichen Krönungs-
ornates mit der, seltsame Thiergestalten enthaltenden, breiten Einfassung
und die zu ihr gehörende, mehr im antiken Stile mit Palmetten einfach
umsäumte, kaiserliche Alba, die wahrscheinlich beide aus dem Hötel Tiraz
zu Palermo hervorgingen. Ebenso möchte ich glauben, dass der zu Metz
aufbewahrte Krönungsmantel der Hauptsache nach gestickt sei, wie dieses
sicher bei dem sehr merkwürdigen, gewiss aus der Zeit vor dem XI. Jahr-
hundert stammenden Seidengesticke auf gemustertem Linnenzeuge der
Fall ist, welches Herr v. Hefner in dem Werke: Trachten des christlichen
Mittelalters, veröffentlicht und beschrieben hat und das einen Theil des
Hinterfutters einer, aus dem XIII. Jahrh. stammenden, Fahne ausmacht,
die zu Bamberg aufbewahrt wird. Wahrscheinlich ist diese schöne Stickerei
der Rest einer Krönungsinfula oder eines anderen schärpenähnlichen Ge-
wandes, das zu festlichen oder liturgischen Zwecken bestimmt war. In
einiger Beziehung bildet es Pendant zu der oben beschriebenen Schärpe
oder dem Schleier der hl. Jungfrau Maria zu Chartres, welches Kleidungs-
stück gleichfalls aus Seidenstickerei auf gemustertem feinem Linnenstoffe
besteht.
Kehren wir von diesem Abstecher zu den eigenthümlichen neu-
babylonischen Seidenstoffen zurück, deren gemeinsames Kennzeichen jene

1 Ueber diesen Unterschied siehe unter Stickerei.
 
Annotationen